Friedrich Merz und Donald Trump zwischen Interdependenz und Modus Vivendi: „Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit“ - Internationale Beziehungen im Oval Office
- Dejan Kosmatin
- 11. Juli
- 86 Min. Lesezeit
Angesichts der berechtigten Befürchtung, der deutsche Bundeskanzler würde im Weißen Haus vorgeführt werden, ist er dank seiner "Zurückhaltung" gut davongekommen. Dafür wurde Friedrich Merz von der internationalen Presse jedoch kaum wahrgenommen und vom US-Präsidenten nahezu ignoriert. Seine hilflos wirkende Intervention zum Ukraine-Konflikt hat Donald Trump schlicht weggeschmunzelt. Auch wenn die Strategie des Kanzleramts klug gewählt wurde, bestätigt sie die Rolle Deutschlands und den gegenwärtigen Status im geopolitischen Spiel: Ohne die USA läuft nach wie vor nichts.
Trumps Performance setzt sich indes fort: "ohne mich läuft nichts mehr und alle werden kommen, um mir in den Arsch zu kriechen“. Die Lobeshymnen auf Merz nach seinem „gelungenen“ Antrittsbesuch im Weißen Haus kann auch als kognitive Verzerrungen von Zweckoptimisten wahrgenommen werden. Aus Sicht der Philosophie, Soziologie und Psychologie steckt jedoch mehr dahinter.
Eine Strategie auf Grundlage des Symbolischen Interaktionismus aufzubauen, ist für den Antrittsbesuch in Washington klug gewählt worden. Handlungstheoretisch bringt die Symbolische Kommunikation die Bedeutung von sozialen Objekten, Situationen und Beziehungen im symbolisch vermittelten Prozess der Interaktion (Kommunikation) hervor. Denn grundsätzlich hat ein Gespräch in Washington nach außen hin immer eine symbolische Wirkung. Über die symbolische Kommunikation vorzugehen ist bei der momentanen Schieflage im Verhältnis zwischen Deutschland und Amerika auch nötig, denn es geht für den neuen Kanzler vorerst darum eine (neue) gemeinsame Grundlage mit dem US-Präsidenten auszuloten: den Common Ground für eine politische Beziehung zu den USA.

Vielleicht hat sich Jacob Schrot, Kanzlerbüroleiter und Auslandsexperte der USA, Gedanken über die Soziale Praxis gemacht und an die Konvergenztheorie der Wahrheit des US-Philosophen Charles S. Peirce gedacht und diese der Theorie der Wahrheit von Jürgen Habermas gegenübergesetzt. Wie sehr die deutsche Soziologie und Philosophie bei der Strategieausarbeitung für das Verhältnis zu Washington eine Rolle spielen, ist irrelevant, solange der amerikanische Pragmatismus und Kognitivismus bedacht wurde – Friedrich Merz hat jedenfalls im Oval Office vorerst einen guten Job gemacht. Für weitere Gespräche mit den USA und gute bilaterale Beziehungen in der Zukunft gibt es durchaus einiges zu beachten.
Inhalt
#10.1 Handeln nach dem Universalisierungsprinzip
#10.2 Übereinkunft durch moralische Motivation: Politik der Rettung
#11.1 Konsensfähigkeit statt einstimmiger Zustimmung
#11.2 Reversibilität: Thomas-Theorem der sozialen Wirklichkeit
#11.3 Übergreifender Konsens: Kompromissbereitschaft
Symbolischer Interaktionismus im politischen Kontext
Politische Konflikte und Krisen werden auch durch die Art und Weise, wie sie von den beteiligten Akteuren und der Öffentlichkeit interpretiert werden, konstruiert und beeinflusst. Donald Trump hat schon während seiner Wahlkampagnen zur Präsidentschaft 2016 und 2024 bewiesen, dass sein Lager die Kunst der symbolischen Kommunikation beherrscht. In ihren politischen Kampagnen nutzt das Team Trump Symbole und Rituale, um Emotionen zu wecken und Wähler zu mobilisieren (MAGA-Bewegung).
Historisch nutzen beide Lager, Republikaner und Demokraten politische Symbolik wie Flaggen, Slogans, Reden und Rituale die eine zentrale Rolle spielen, da sie von Individuen interpretiert und mit Bedeutung versehen werden. Dabei sind die Bedeutungen von Symbolen und politischen Konzepten nicht statisch, sondern können sich im Laufe der Zeit und durch neue Interaktionen verändern. Der Eklat während des Besuchs des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus am 28. Februar 2025 ist ein drastisches Beispiel dafür, wie Sprache und Symbolik ein Gespräch verändern können und die Haltung des Gegenüber negativ befeuern kann. Zum Disput zwischen US-Präsident Trump und Selenskyj im Oval Office kam es beim Thema über den andauernden Krieg in der Ukraine. Der deutsche Bundeskanzler hat die Fehler des ukrainischen Amtskollegen bei seinem Antrittsbesuch tunlichst vermieden und dabei eine gute Rolle gespielt.
emotionale Besetzung, permanente Interaktion und Machtgefälle.
Nach der Theorie der symbolischen Interaktion, sind Individuum und Gesellschaft prozesshaft in der Interaktion über signifikante Symbole verwoben und bedingen sich gegenseitig. Diese Symbole sind Allgemeinbegriffe, sie lösen bei einem selbst das Gleiche aus wie bei den Anderen. Der Sinn oder die Bedeutung eines Symbols wird von allen Mitgliedern der Gesellschaft gleich interpretiert. Hier hat das Team um Friedrich Merz in der Kommunikations-strategie richtig angesetzt. Denn der Andere, US-Präsident Trump, übt prägenden Einfluss auf den Einzelnen, den Verbündeten und Handelspartner aus. Dabei sind Merkmale eines „signifikanten, konkreten od. individuellen Anderen“: emotionale Besetzung, permanente Interaktion und Machtgefälle.
Mensch als evolutionäres Produkt: Entwicklungslogik
Auch wenn dieser Ansatz des Symbolischen Interaktionismus aus der Mikrosoziologie stammt, kann er in internationalen Beziehungen, in der Kommunikation zwischen zwei Personen bzw. Politikern relevant sein, gerade in der Interaktion mit amerikanischen Präsidenten – und ohnehin, wenn dieser Donald Trump heißt, denn dieser pragmatische Ansatz stammt aus der Chicagoer Schule der Soziologie. Inspiriert von der Evolutionstheorie Darwins verstehen die Vertreter dieser Theorie das Bewusstsein des Menschen als evolutionäres Produkt der Auseinandersetzung des Organismus mit seiner Umwelt (Mead).
Die Trump-Administration schätzt auch die ökonomischen Ansätze der Chicagoer Schule. Mit dem liberal-konservatives Selbstverständnis des survival of the fittest (ökonomischer Sozial-Darwinismus) folgt die USA historisch dem Pragmatismus um James und Peirce (Utilitarismus) und später Dewey und Mead in Abgrenzung zum deutschen Idealismus um Fichte, Schelling und Hegel. Mit diesem Bewusstsein sollte auch ein deutscher Kanzler an seine Kommunikationsstrategie für den Diskurs mit dem US-Präsidenten rangehen.
Im anthropologischen Sinne, verstehen auch Marx und Engels das menschliche Bewusstsein nicht als Gabe, die dem Menschen etwa in die Wiege gelegt und in Aprioris der Erkenntnis zu beschreiben wäre. Dabei setzt man, so George H. Mead, das zu Erklärende bereits voraus. Ein Vorteil für die deutsche Politik, sofern das Team um Merz, den Philosophen Karl Marx noch richtig zu deuten versteht. Daneben bietet die deutsche Soziologie eine Menge Grundlagen für eine Strategie der Außenpolitik, von Max Weber bis Talcott Parsons über Theodor Adorno und Niklas Luhmann. Letztlich liefert bei der Suche nach einer Konsenstheorie (Wahrheit) Jürgen Habermas die Antwort auf normative Fragen.
Amerikanischer Pragmatismus
Im Amerikanischen Pragmatismus richtet sich ein Verhalten nach situativen Gegebenheiten, wodurch das praktische Handeln über die theoretische Vernunft gestellt wird. Im Unterschied dazu geht die philosophische Tradition des Pragmatismus davon aus, dass der Gehalt einer Theorie oder eines Konzepts von deren praktischen Verwendungen und Konsequenzen her bestimmt werden soll (Pragmatische Maxime). Daher lehnen Pragmatisten wie der US-Präsident Donald Trump unveränderliche Prinzipien ab.
Unter anderen galten die Präsidenten Richard Nixon und Lyndon B. Johnson während des Vietnamkrieges so wie Ronald Reagan während des Kalten Krieges als "tough-minded" Pragmatiker. Ebenso als außenpolitischer Hardliner galt George Bush bei der Bekämpfung der Achse des Bösen und in ähnlicher Härte pragmatisch gingen schon die früheren Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika vor. Ob Franklin D. Roosevelt während des Zweiten Weltkriegs oder der noch ältere Reformer Theodore Roosevelt, wie auch Woodrow Wilson während des Ersten Weltkriegs. Pragmatiker waren die US-Präsidenten bis zu einem gewissen Grad alle, auch schon während des Amerikanischen Bürgerkriegs zu Zeiten von James Buchanan und Abraham Lincoln, die mit Gewalt vorgingen, um die Union zu erhalten.
Maxime des US-Pragmatismus
Der Pragmatismus und Utilitarismus sind quasi ein historisches Erbe und eine Fundamentalphilosophie der Vereinigten Staaten, die prinzipiell in der Außenpolitik der USA zum Tragen kommt. Bei dieser Nutzenphilosophie steht neben dem Nutzen, nach Auslegung und Ausprägung auch der eigene Vorteil im Vordergrund. Im politischen Realismus bspw. den wir gerade erleben, ist die Nutzethik der moralische Kompass für „das Recht des Stärkeren.“ Das Prinzip des Nutzens wurde vom britischen Sozialreformer des 19. Jhr. und Begründer des klassischen Utilitarismus Jeremy Bentham geprägt, der als Vordenker des modernen Wohlfahrtsstaats gilt:
„Mit dem Prinzip des Nutzens ist jenes Prinzip gemeint, das jede beliebige Handlung gutheißt oder missbilligt entsprechend ihrer Tendenz, das Glück derjenigen Gruppe zu vermehren oder zu vermindern, um deren Interessen es geht […] Mit ‚Nutzen‘ ist diejenige Eigenschaft an einem Objekt gemeint, wodurch es dazu neigt, Wohlergehen, Vorteil, Freude, Gutes oder Glück zu schaffen.“
Tough Guy Trump und der Cash-Value im Linguistic Turn
Nach William James, dem Begründer der pragmatischen Methode lassen sich die unterschiedlichen Positionen in vielen (philosophischen) Streitfragen auf die unterschiedlichen Temperamente der beteiligen Protagonisten zurückzuführen. Wenn "harte Player" auf "zarte Geister" treffen, führen unterschiedliche Positionen leicht zu internen Widersprüchen, da sich etwa Naturalismus und Theismus schwer miteinander verbinden lassen. Hier soll der Pragmatismus eine solche Vereinbarkeit von Elementen beider Temperamente ermöglichen.
Nach James' Maxime sind zum einen die Zartbesaiteten („tender-minded“) in der Regel Rationalisten und neigen u. a. zu einer idealistischen, optimistischen und religiösen Weltsicht, während die Hartherzigen („tough-minded“) gewöhnlich Empiristen mit einer materialistischen, pessimistischen und areligiösen Weltsicht sind. In internationalen Beziehungen scheitert es demnach oft an der Begriffserklärung und dem Wahrheitsbegriff bzw. der Disambiguierung. In der pragmatischen Haltung bedeutet dies:
Wenn ein Streit über die Wahrheit oder Unwahrheit eines Satzes davon abhänge, wie die Worte darin zu verstehen sind, dann könne man diesen Streit auflösen, indem man allen Parteien in einem jeweils bestimmten Sinne Recht gibt.
In solch einem Fall können die Parteien unterschiedliche Gedanken zu demselben Satz gehabt haben, die dann auch unterschieden werden müssten – und zwar nach dem Wert (cash value).
Die Entscheidung von Friedrich Merz im Oval Office das Gespräch mit Donald Trump vor der US-Presse in englischer Sprache, ohne einen Dolmetscher, zu führen, ergibt sprachphilosophisch Sinn. Sprache wird in der Sprachphilosophie als ein "gesellschaftliches Mittel zur Machtausübung" untersucht und kritisiert. Gemäß der Diskurstheorie von Michel Foucault gibt es keinen Diskurs, der nicht von Machtbeziehungen bestimmt sei. Die Regeln des Diskurses (auch anderer Theorien wie Diskursethik, Dialog oder Polylog) definieren für einen bestimmten Zusammenhang, was gesagt werden soll und was nicht gesagt werden darf und welcher Sprecher was wann sagen darf.
Insofern kam die Botschaft des deutschen Bundeskanzlers im Weißen Haus unmissverständlich rüber und scheiterte nicht an der Begriffserklärung. Eine Disambiguierung ist er damit umgangen, da keine Auflösung von Mehrdeutigkeiten nötig gewesen wäre, sowohl in der Sprache als auch in anderen Kontexten seiner Aussagen – vielleicht hat sich Friedrich Merz deshalb bewusst zurückgehalten, da Sprache eben kein „transparentes Medium“ ist. In der Linguistik bezieht sich Disambiguierung auf die Eindeutigmachung der Bedeutung eines Ausdrucks. So musste sich bei den Worten des Chancellors keiner in der US-Administration oder der breiten globalen Medienlandschaft bemühen, „erkannte Verzerrungen oder Unschärfen der Sprache mit den Mitteln der Logik zu beseitigen“, so wie die analytischen Philosophen um Frege, Moore, Russel des Wiener Kreises der 1920er bis 1930er Jahre, die in der Reflexion des Denkens, sprachkritisch mit ihren Ansätzen solche dogmatischen oder naturalistischen Fehlschlüsse versucht haben zu vermeiden.
Wie der Pragmatismus gilt die Sprachphilosophie in den USA als Fundamentaldisziplin, die sich als Linguistische Wende (linguistic turn) um Richard Rorty etablierte, als „die Ansicht, dass philosophische Probleme gelöst oder aufgelöst werden können, indem man entweder die Sprache reformiert oder besser die Sprache versteht, welche wir gegenwärtig verwenden“. Damit benennt der amerikanischen Neo-Pragmatiker und eigentliche analytische Philosoph Richard Rorty zwei verschiedene Zugänge, die so genannte Philosophie der idealen Sprache und die Philosophie der normalen Sprache.
Donald Trump hat über seine Kommunikationsstrategie die Bedeutung der Sprachphilosophie eindeutig belegt, da er mit seiner eigenen Rhetorik die Mitte der Gesellschaft erreicht, die seine spezifische Sprache versteht, weil sie diese Sprache selbst spricht. Für Merz bedeutet dies, sich in den USA gegenüber der öffentlichen Meinung ähnlich rhetorisch auszudrücken (mitzuteilen) bzw. im öffentlichen Diskurs der Rhetorik Trumps anzupassen. Merz nutzte im Oval Office die einfache englische Sprache, hat dabei kurze und klare Sätze formuliert, ohne Interpretationsraum und Einsatz missverständlicher Metaphern.
Befriedigung von Handlungsabsichten (Nutzethik)
Im Allgemeinen müssen sich im Pragmatismus, wie oben erwähnt (philosophische) Begriffe an ihrem Kassenwert (cash-value) messen lassen. Entscheidend ist der sich aus ihnen ergebende praktische Unterschied: Diese können an Beispielen erklärt werden, in denen aus einer Begrifflichkeit oder Theorie etwas anderes folgt als aus der Alternative. Wenn solche praktischen Unterschiede nicht nachgewiesen werden können, dann sei der entsprechende Begriff und die dazugehörende Theorie bedeutungslos (Vgl. Leibniz’ Gerechtigkeitskonzeption).
Folglich muss alles, was Friedrich Merz sagt, für Donald Trump von praktischem Nutzen sein und sich auch auf die Konsequenzen und die Auswirkungen eines Konzepts, einer Theorie oder eines Glaubens beziehen. Im Kern geht es darum, dass die "Wahrheit" oder der Wert (cash-value) einer Idee nicht in ihrer absoluten Korrektheit oder Falschheit liegt, sondern in ihren praktischen Auswirkungen auf unser Leben und Handeln.
„Wahrheit ist, wie jedes Wörterbuch Ihnen sagt, eine Eigenschaft gewisser Vorstellungen. Sie bedeutet soviel als ‚Übereinstimmung‘ mit der Wirklichkeit, ebenso wie Falschheit Nichtübereinstimmung mit der Wirklichkeit bedeutet.“ – William James, 1907
Die amerikanische Nutzethik kommt in der Agenda von Donald Trump gefühlt deutlicher zum Tragen, da sie durch seine spezielle Rhetorik und seiner unternehmerischen Herangehensweise im politischen Diskurs härter zum Ausdruck kommt. Trump ist kein Diplomat, er ist Unternehmer. Ob etwas wahr ist, zeigt sich für Trump erst in der Praxis durch den "cash-value". Wahrheit ist ein Geschehen, in dem sich Vorstellungen in der Praxis bewähren und welches mit bereits bewährten Erfahrungen konsistent ist. Nach dem pragmatischen Ansatz sind Ideen wahr, die „funktionieren“ und Arbeit sparen.
„Ideas […] become true just in so far as they help us to get into satisfactory relations with other parts of our experience. […] Any idea is true for just so much, true in so far forth, true instrumentally.“ - William James, 1907
Wahres Wissen ist im pragmatischen Utilitarismus immer auch erfahrungsbasiert und verspricht die Befriedigung von Handlungsabsichten. In dieser Form wurde der Pragmatismus dann auch einer breiteren Gesellschaft bekannt, was vor allem in Europa zu breiter Ablehnung geführt hat, weil der Pragmatismus mit einer reinen Nützlichkeitstheorie gleichgesetzt wurde.
Ethisches Dilemma: Zweckethik versus Pflichtethik
Der Utilitarismus ist als eine Folgenethik zu begreifen, bei der die Moral einer Handlung durch ihre Folgen bestimmt wird und nicht durch ihre Absicht oder den zugrundeliegenden Regeln. Die Ethik konzentriert sich somit auf die Folgen einer Handlung und beurteilt deren Moralität anhand des erzielten Nutzens. Diese zweckorientierte (teleologische) Ethik steht im Gegensatz zur deutschen (und europäischen) deontologischen Ethik Kants, die auf Pflichten basiert. Sie beurteilt Handlungen eben nicht nach ihren Konsequenzen oder Zielen, sondern nach der Einhaltung von Regeln und Pflichten, die aus dem kategorischen Imperativ Kants' abgeleitet werden. Deshalb wird in Europa ethisch normativ argumentiert; die Europäer werden in den USA als Idealisten und Moralisten angesehen.
„to the victor belong the spoils“
Der Utilitarismus in der klassischen Auffassung wurde von Jeremy Bentham begründet und später von John Stuart Mill um die Nutzethik erweitert und zweckorientiert modifiziert. Im Zentrum dieser US-amerikanischen Nützlichkeitstheorie und zweckorientierten Ethik stehen die Begriffe "Nutzen" und "Handeln" - für einen politischen Realisten und gewinnorientierten Unternehmer wie Donald Trump auch im Nullsummenspiel, zum Nutzen des Gesamtwohls der USA oder der Maximierung des eigenen Vorteils (Spoils System). Das "Spoilssystem" steht im Gegensatz zum Konzept der Meritokratie und bezeichnet in der Politik die Praxis, dass der Gewinner einer Wahl seine Unterstützer mit Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst belohnt, unabhängig von deren Qualifikation für die jeweilige Stelle, nach dem Motto: „dem Sieger gehört die Beute“.
Auch diese Praxis hat trotz des 1883 eingeführten Pendleton-Gesetz (Pendleton Civil Service Reform Act) Tradition in den USA. Trump hat es Andrew Jackson gleichgetan. Als dieser 1829 Präsident wurde, belohnte er seine Träger und Anhänger auf systematische Weise mit Regierungsstellen. Er dachte, die erfolgreiche Wahl durch das Volk gäbe der siegreichen Partei das „Mandat“, staatliche Amtsträger aus den Rängen der eigenen Partei zu ernennen. Abraham Lincoln hat es ebenfalls getan, so wie William H. Harrison.
Instrumentaler Wahrheitsbegriff
Ein nach dem Pragmatismus „gerechter Wahrheitsbegriff“ besagt, dass etwas immer insoweit wahr sei, als es uns hilft, unsere Erfahrungen in zufriedenstellender Art und Weise zusammenzufügen. Während für den Rationalismus also die Welt ein ewiges, fertiges Gebilde darstellt, ist für den Pragmatismus die Realität noch in Entwicklung begriffen, da die Wahrheit von unserem Erfahrungsschatz abhängt.
Dieser Wahrheitsbegriff ist instrumental: er bewertet auch (politische) Meinungen nach ihrer Nützlichkeit. Bezogen auf den amerikanischen Präsidenten, bedeutet dies: Wenn Trump neue Meinungen hinzubekommt, die nicht zu der Menge seiner bisherigen Meinungen passen, stellt dieser
die neue Meinung infrage oder versucht
das System seiner bisherigen Meinungen so wenig wie möglich zu verschieben und gleichzeitig die neue Meinung darin einzubauen.
Diese Theorie der Wahrheit ist demnach keine absolute Korrespondenztheorie der Wahrheit, sondern legt fest, was Trump (gemäß seinen aktuellen Kenntnissen) für wahr halten soll.
Für die deutsche Regierung ist es an der Stelle wichtig, sich die unterschiedliche philosophische Entwicklung der beiden Länder zu verdeutlichen. Im Unterschied zu Deutschland – wo die Herrschaft des nationalsozialistischen Faschismus die intellektuellen Weiterentwicklungen für Jahrzehnte unterbrach – erfolgte in den USA wie im gesamten anglophonen Sprachraum in der ersten Hälfte des 20. Jhr. eine philosophische Umorientierung durch die Analytische Philosophie. In einer weiteren Veränderung innerhalb dieser verließ man nach dem Zweiten Weltkrieg das ursprüngliche Terrain logisch-formaler Betrachtungsweisen und idealsprachlicher Entwürfe und begann die Alltagssprache zu erforschen und philosophisch auszuwerten. Diese (linguistische) Wende war Anfang der 1950er Jahre von Gustav Bergmann, wie oben erwähnt, als „Linguistic Turn“ bezeichnet worden.
Rorty wollte mit seiner Philosophie der "Aufklärung" (edifying philosophy) es den Menschen ermöglichen, neue Sichten zu entwickeln. Er ist der Ansicht, Solidarität zwischen Menschen, die durch die westliche Kultur geprägt sind, entstehe aus der gemeinsam geteilten Erfahrung von Grausamkeit. Sie ist in der Sphäre der Öffentlichkeit, der Gesellschaft angesiedelt, für die es gelte, Grausamkeit und Leiden zu minimieren bzw. zu vermeiden. Dieses gemeinsam geteilte Empfinden, das Einfühlungsvermögen der Menschen (Empathie) , könne jeder Einzelne z. B. mit Hilfe der Literatur und Poesie weiterentwickeln. In seinem Buch Truth and progress erhellt Richard Rorty das dialektische Verhältnis zwischen "Wahrheit und Fortschritt" durch Kritik an eingebürgerten philosophischen Theorien, durch verständnisvolle Interpretationen anderer Autoren und durch geduldige Abwehr der gegen seine Position erhobenen Einwände. Richard Rorty schreibt:
Das Interesse an der Wahrheit Platons hat nachgelassen. Menschliches Handeln wird heute nicht mehr ontologisch fundiert. Menschen gehen heute von intuitiven Vorstellungen aus, die sich auf menschenwürdiges Handeln beziehen.
Insofern war es von Merz klug bei offenen und den zu diskutierend Streitthemen, an den „gesunden Menschenverstand“ des US-Präsidenten und nicht an dessen Moral zu appellieren.
Universalienstreit: Korrespondenz versus Kohärenz
Im Realismus sind nach der Korrespondenztheorie der Wahrheit Aussagen genau dann wahr, wenn sie mit den Tatsachen in der objektiven Welt übereinstimmen, sprich korrespondieren. Die Korrespondenztheorie gilt in der Regel als Gegenposition zu den Kohärenztheorien der Wahrheit.
Vertreter des Rationalismus und des politischen Idealismus betrachten Kohärenz, also die innere logische Stimmigkeit und Zusammenhang einer Aussage mit anderen Aussagen, oft als ein wichtiges, wenn nicht sogar entscheidendes Kriterium oder ein Indiz für die Wahrheit einer Aussage. Sie sehen darin einen Hinweis darauf, dass eine Aussage in ein stimmiges System von Überzeugungen oder Wissen eingebettet ist. Auch der Nominalismus als Gegensatz zu Realismus, lehnt die Vorstellung ab, Universalien hätten eine eigene Realität, sprich allgemeine (übergeordnete) Begriffe oder Konzepte (Ideen), die auf viele einzelne Dinge angewendet und verkörpert werden können. Allgemeine Begriffe und Kategorien sind lediglich Namen oder Bezeichnungen für konkrete Dinge und Einzelfälle, sie haben keine eigenständige und reale Existenz (Realität). Dagegen nehmen Realisten die Existenz von Universalien als reale und unabhängige Entitäten wahr (Universalienstreit).
Die Idee des mittelalterlichen Nominalismus findet auch Anwendung im Wirtschaftsrecht (Nominalismus als Nennwertgrundsatz) und in der Geldtheorie (Gegensatz zum Metallismus). Zur Konstitution neuzeitlicher Subjektivität vergleiche Hans Blumenberg und Wilhelm von Ockham.
anfangs möglichst wenig, das Wenige aber mit Bedacht sagen.
Korrespondieren können auch Bilder. Im Zuge der Ikonischen Wende (iconic turn bzw. visualistic turn) hat sich die Bildtheorie als Grundlage der Kulturwissenschaften etabliert. Die Reflexion über Bilder, die das westliche Denken seit Plato nicht nur in der Philosophie, sondern auch in zahlreichen anderen Disziplinen begleitet, bildet heute ein eigenes Gebiet der begrifflichen Arbeit. Im Gebiet der Internationalen Beziehungen spielt die Bildtheorie insofern eine Rolle, weil sie die sprachlichen Bilder (insb. die Metaphern) sowie Menschenbilder, Weltbilder oder Idealbilder untersucht.
Dieser Unbestimmtheit entsprechend besitzt der Bildbegriff philosophiehistorisch gleichermaßen in ästhetischen und zeichentheoretischen wie in bewusstseins- und erkenntnistheoretischen oder in metaphysischen und selbst ethischen Zusammenhängen Bedeutung.
Common Ground deutsch-amerikanischer Wirkungslinien
Je mehr also Merz gegenüber Trump und den amerikanischen Medien sagt und versucht ein Ereignis, einen Vorgang oder Sachverhalt bildhaft zu beschreiben oder metaphorisch zu untermauern, desto mehr gibt das Trump und der Öffentlichkeit Möglichkeit zur Interpretation und Auslegung seiner Aussagen. Im Beziehungsaufbau zu Trump ist die Strategie anfangs möglichst wenig, das Wenige aber mit Bedacht zu sagen, dahingehend die richtige Handlungsempfehlung für Merz.
Trump liebt Geschenke, doch jedes Präsent birgt die Gefahr einer falschen Symbolik. Die Wahl Donald Trump die Geburtsurkunde seines in Deutschland geborenen Großvaters zu überreichen, war strategisch sehr gut gewählt. Die Urkunde von Friedrich Trump ist unmissverständlich und hatte eine klare Botschaft: Der US-Präsident hat deutsche Wurzel, es ist wahr und Fakt und muss nicht gedeutet werden. Zudem nutzte Merz damit die Methode des Framing. Er betonte u. a. die Gemeinsamkeit des Namens zum Großvater, vielleicht auch mit dem Hintergedanken an den König von Preussen Friedrich Wilhelm I. Dieser verstieß gegen die Normen seiner Zeit und verachtete die Eliten, so wie Donald Trump heute. In dieser Hinsicht erinnerte Merz den US-Präsidenten an eine wichtige politische Figur in Europa und die Ähnlichkeit zu ihm, "The King" Donald Trump, der als Präsident der USA Geschichte schreibt.
Am Anfang geht es für den Kanzler darum viele Gemeinsamkeiten zu finden und einen Rahmen für gemeinsames Wirken (Wirkungslinien und Begründungsendpunkte) zu setzen. Die Einwanderungspolitik hatte Merz dabei weniger im Sinn, es ging ihm eher um den common ground, eine gemeinsame Wissensbasis und Verbundenheit. Die "Common Ground Methode" hat Merz eingesetzt, um die gemeinsamen Sichtweisen und Positionen zu einem Thema zu identifizieren und auf dieser Basis Maßnahmen zu entwickeln.
Nichts einigt besser als ein gemeinsamer Feind.
Auch wenn Trump gerne im Oval Office vor der Presse mit Merz über dessen Parteikollegin und ehemalige Bundeskanzlerin lästern wollte, die Feindschaft zu Angela Merkel wäre keine gute Basis für eine Beziehung. Friedrich Merz hätte sich damit in den eigenen Reihen und nach außen in Verruf gebracht. Öffentlich schlecht über andere zu sprechen, steht einem großen Staatsmann nicht und Merz will in seiner Amtszeit die Welt oder zumindest Europa bleibend verändern, er möchte Geschichte schreiben, wie sein amerikanischer Amtskollege. Deshalb versucht er mit der Kopie der Geburtsurkunde Friedrich Trumps den amerikanischen Präsidenten auf die gleiche Seite zu ziehen. Merz spricht von der Befreiung Europas am D-Day und der Chance gemeinsam den Krieg in Europa bzw. der Ukraine zu beenden und will Trump gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin auf der gleichen Seite sehen.
Interaktion über signifikante Symbole
Die im Gespräch von Merz verwendete Metapher des Schlüssels (Key) hat in den USA wie im Allgemeinen in der westlichen Welt eine große symbolische Bedeutung. Nicht nur das Wappen des Vatikans trägt Schlüssel als Symbole für Bindung und Lösung, die Schlüssel Petri werden als Binde- und Löseschlüssel bezeichnet und symbolisieren auf vielen Wappen der Alten Welt (Europa) und Neuen Welt (USA) Zugang, Wissen, Schutz aber auch Macht und Kontrolle. Der Schlüssel symbolisiert u.a. auch, dass man ein Geheimnis kennt oder den Weg zu etwas Wichtigem gefunden hat.
Trump, ist ohne Zweifel ein mächtiger Mann und er liebt es die Lösung, eine „key solution“ zu einem Problem zu sein. Merz hat ihm mit dem signifikanten Symbol des Schlüssels vermittelt, was ein egozentrischer Mann mit Macht hören will: US-Präsident Trump, der mächtigste Mann der Welt und global Key-Player ist der Schlüssel der Türen öffnet. Die Botschaft des Kanzlers in der gemeinsamen Vision lautet: in den Geschichtsbüchern steht der Name Trump für neue Möglichkeiten, Chancen und Erkenntnisse; für Frieden in Europa und in der Welt.
In seiner engen Fassung also bezeichnet „Bild“ einen Gegenstand, der innerhalb einer kommunikativen Handlung im Unterschied zur sprachlichen Darstellung nicht als Beschreibung, sondern als visuelle Veranschaulichung eines (fiktiven oder realen) Sachverhalts aufgefasst wird. Die Bild-Theorie stellt damit eine Verschärfung der Korrespondenztheorie dar (Isomorphismus).
Der Begründer des Pragmatismus Peirce, der sich später deutlich von den Entwicklungen der pragmatischen Philosophie und der relativistischen Nützlichkeitsphilosophie distanzierte vertrat demnach eine Konvergenztheorie der Wahrheit, die in einem fiktiven unendlich entfernten Zeitpunkt in der Zukunft in eine Korrespondenz des Gedachten mit der Realität mündet. Bis dahin ist alle Erkenntnis fallibel (Fallibismus).
Der Fallibilismus vertritt eine erkenntnistheoretische Position, nach der es keine absolute Gewissheit geben kann und sich Irrtümer niemals ausschließen lassen. Eine Strategie der Begründung oder Rechtfertigung mit dem obersten Ziel, eine Letztbegründung zu geben, kann für Fallibisten niemals zum Erfolg führen. Für Peirce war zwar die Intersubjektivität eine Voraussetzung der Wahrheit. Die oftmals hergestellte Verbindung von Peirce mit einer Konsenstheorie der Wahrheit ist hier aber nicht zu erkennen.
Wirkungslinien von Einheit und Vielheit oder Trumps „Deal or No Deal“
Nach der pragmatischen Haltung kann sich Trump demnach die Welt am besten durch sein intuitives Urteilen bewerten, mit denen er durch „gesunden Menschenverstand“ seine Erfahrungen und bisherigen Meinungen vereinbar macht. Donald Trump ist kein Diplomat, er ist ein "Deal Maker" und dementsprechend entscheidet und bewertet er eine Handlung (wie seine eigenen auch) als Geschäftsmann, nämlich unternehmerisch nach dem Return on Investment (ROI). Eine Form des Denkens kann die Welt in Vollständigkeit jedoch nicht erfassen, deshalb hat seine Regierungs-Administration die Aufgabe etwa über Funktionalitäten und Abhängigkeiten nachzudenken und Sachverhalte über das theoretisch-kritische Denken zu bewerten. Er hat also „empirische“ Entscheidungsgrundlagen, basierend auf Erfahrungen aus Beobachtungen, Experimenten und auch Heuristiken. Jedenfalls handelt Trump nicht rein intuitiv – nach festen Theorien jedoch auch nicht.
Bei der Frage nach der Einheit oder Vielheit der Welt, lassen sich intuitive Argumente sowohl für als auch gegen die Einheit der Welt vorlegen. Der Schlüssel bzw. die Lösung der US-Regierung liegt dabei in einer Unterscheidung nach Hinsichten, in welchen die Welt als Einheit gelten solle.
So sei es wohl zutreffend, dass:
zum Einen die Welt ein einheitlicher Gegenstand des Diskurses gelten könne und zudem als ein Kontinuum aufgefasst werden könne.
Andererseits sei es höchstwahrscheinlich falsch, das Netz der kausalen Wirkungslinien als Einheit zu beschreiben.
Die US-Administration wendet die nach der pragmatischen Maxime empfohlene Disambiguierung methodisch an. Trump sieht demnach bspw. den Krieg in der Ukraine zum gegenwärtigen Zeitpunkt als ein europäisches Problem an. Die einzige Verbindung zum Konflikt und den USA ist das transatlantische Bündnis, die NATO. Selbst wenn Putin ein NATO-Land bzw. einen Bündnispartner angreifen sollte, sieht sich Trump nicht gezwungen die USA in den Konflikt zu involvieren. Solange die Aufrüstung der europäischen Armeen um bis zu 5 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) nicht umgesetzt ist, sieht er keinen Nutzen im transatlantischen Bündnis und sich nicht mehr dazu veranlasst den Ländern in Europa militärischen Schutz zu gewähren. Vielmehr nutzt der US-Präsident die Konfliktlage geoökonomisch aus, um die Aufrüstung der NATO mit US-Rüstungsgütern zu beschleunigen.
Sein momentanes Interesse liegt eher in der Annäherung der USA an Russland und möglicher nützlicher Deals. Der ROI der United States Department of Defense bzw. der US-Militärstützpunkte in Europa ist für die Vereinigten Staaten unbefriedigend. Das "Business" mit der Sicherheit der europäischen NATO-Partner bewertet Trump (nach dem Nutzen für die USA) ohne die Aufrüstung mit amerikanischen Rüstungsgütern als schlecht. Als Konsequenz zieht er militärische Einheiten aus europäischen Stützpunkten ab oder verlagert sie an Standorten, die den Interessen der Vereinigten Staaten mehr entsprechen (zweckorientiertes Handeln im Sinne der USA).
Wirklichkeit im Skeptizismus und Dogmatismus
Betrachten wir neben dieser strategische Ambiguität Trumps zum Ukrainekrieg und der NATO-Aufrüstung zum Vergleich allein die Dogmatik der Grundrechte der Europäischen Union, lassen sich die unterschiedlichen Positionen und daraus resultierenden Schwierigkeiten im Diskurs mit einer realpolitisch und pragmatisch geführten USA erahnen. Wenn der aus einer Juristenfamilie stammende und studierte Rechtsanwalt Merz auf den Geschäftsmann Trump triff, der aus einer Business-Dynastie stammt, sind schon allein deshalb Grundhaltungen so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Denn der dogmatische Sprachgebrauch des deutschen Idealismus (und mittelalterlichen europäischen Nominalismus) wird am Maßstab der Sache kritisiert.
Ausgehend von der deutschen Grundrechtsdogmatik unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH und der Literaturauffassungen, wurde vor fast 25 Jahren eine einheitliche Lehre für alle Grundrechte der EU entwickelt. Dazu wurden zunächst der Begriff der Grundrechte und die ihnen obliegenden Aufgaben europarechtlich definiert. Der Skeptizismus bezweifelt jedoch, dass es ein Wahrheitskriterium gibt und steht deshalb jeder Art im Gegensatz zum Dogmatismus, deren Vertreter behaupten, beweisbare, richtige Aussagen über eine objektive Wirklichkeit machen zu können.
Skeptiker zweifeln an, ob es uns auch wirklich gelingt, Tatsachen so zu erkennen, wie sie tatsächlich sind. Denn sowohl psychische, soziale, historische, wie auch physische Faktoren können die Erkenntnis von Tatsachen beeinflussen. Somit ist der Wahrheitsgehalt von Aussagen schwierig zu überprüfen: Im Grunde genommen müsste man die Tatsache (Wirklichkeit) unabhängig von ihrem "Erkannt- und Formuliertwerden" erkennen, um sie dann mit der in eine Aussage gegossenen Erkenntnis zu vergleichen. Dieser Vergleich ist ersichtlich nicht durchführbar.
Um eine Hypothese zu beweisen, muss man stets Unbewiesenes voraussetzen, und auch diese Voraussetzung muss beweisbar sein, was zu einer unendlichen Kette von Beweisen führt.
Auch wenn es für Rationalisten und Realisten (und Empirikern sowieso) grundlegende, evidente Wahrheiten gibt, die so offenkundig sind, dass sie jedem zugänglich seien, stehen die Pragmatiker den Skeptikern bei dem Wahrheitsbegriff und der Wirklichkeit näher. Hinter der von Idealisten wahrgenommen Ambiguität des Präsidenten und seiner US-Administration verbirgt sich die Isosthenie der Skeptiker. Logisch-argumentativ wird der skeptische Widerspruch im Weißen Haus folgendermaßen formuliert: Zum Beweis einer Hypothese müsse stets Unbewiesenes vorausgesetzt werden. Auch diese Voraussetzung müsse beweisbar sein.
So kommt die US-Regierung (wenn sie denn will oder muss) zu einer unendlichen Kette von Beweisen. Außerdem gebe es zu jeder Behauptung eine gegenteilige Behauptung, die mit ebenso einleuchtenden Argumenten vertreten werden kann; damit sei alles Wissen der Dogmatiker als Scheinwissen zu entlarven. Die Gleichkräftigkeit bzw. Isosthenie ist ein Schlüsselbegriff des Skeptizismus und bedeutet die Gleichwertigkeit widerstreitender Argumente in einer (philosophischen) Diskussion. Diese Falle der "Gleichkräftigkeit" hat Merz im Oval Office gekonnt umschifft.
Dekonstruktion des Positivismus
Interessant ist auch hier die Ansicht Richard Rortys. Der „Denker der Dekonstruktion“ (Der Spiegel der Natur, 1997) plädierte dafür, sich vom Wahrheitsbegriff und von Objektivität zu verabschieden. Diese Begriffe seien kontingent, hätten nicht zu den in Aussicht gestellten Ergebnissen geführt und seien daher verzichtbar. Er forderte „eine konsequente Historisierung epistemologischer Problemstellungen“.
Rorty vertrat damit einen Eliminativismus (eliminativen Materialismus), der besagt, dass es keine mentalen Phänomene gibt (Philosophie des Geistes). Bemerkenswert dabei ist, das er vor 28 Jahren in seinem Buch „Achieving Our Country“ (1997) den Verfall amerikanischer Werte voraussagte:
„Eines Tages wird es einen Riss in Amerika geben. Ein beträchtlicher Teil der Wählerschaft wird zu dem Schluss kommen, dass das ‚System‘ gescheitert ist, und wird sich nach dem starken Mann umsehen, den es wählen kann. Der wird ihnen versichern, dass nach seiner Wahl die schmierigen Bürokraten, die Winkeladvokaten, die überbezahlten Fondsmanager und die postmodernen Professoren nichts mehr zu sagen haben werden. Ist ein solcher ‚Strongman‘ einmal gewählt, vermag niemand zu sagen, was passieren wird. 1932 erwiesen sich alle Voraussagen, was passieren würde, wenn Hindenburg Hitler zum Kanzler machte, als unglaublich optimistisch.“
Ein Ergebnis dieser neuen Perspektive von Rorty war die Erkenntnis, dass sich der wissenschaftliche Fortschritt oft nicht, wie noch in den positivistischen Modellen (Positivismus) angenommen, durch Reduktionen vollzieht. Die reduktionistische Grundannahme setzt voraus, dass jedes Phänomen komplett beschrieben werden kann, wenn nur genügend Daten des Untersuchungsgegenstandes bekannt sind (Reduktionismus). Sprich ein System kann nicht durch seine Einzelbestandteile („Elemente“) vollständig bestimmt werden. Dazu gehört auch die vollständige Zurückführbarkeit von Theorien auf Beobachtungssätze, von Begriffen auf Dinge oder von gesetzmäßigen Zusammenhängen auf kausal-deterministische Ereignisse (Ursache-Wirkungs-Diagramm).
„eine konsequente Historisierung epistemologischer Problemstellungen“ – Richard Rorty, 1997
Heutige Reduktionisten sehen in der Einheitswissenschaft Paul Oppenheims und Hilary Putnams jedoch eher ein Ideal, das sich zwar theoretisch verwirklichen lassen könnte, von der menschlichen Forschung aber praktisch nie erreicht werden kann, also eine alles umfassende und einheitliche Sicht auf die Wirklichkeit oder Realität. Das gilt auch zwischen verschiedenen Wissenschaftsbereichen etwa zwischen Psychologie und Neurobiologie oder zwischen Chemie und Physik, aber auch zwischen der Ethik und den Verhaltensbeschreibungen und zwischen Politik und Ökonomie.
Komplexitätsdenken im Holismus und der Systemtheorie
Die Gegenposition zum Reduktionismus ist das philosophische Konzept des grundlegenden Holismus bei dem eine umfassende Betrachtung gefordert wird, um auch Wechsel-, Neben- und Rückwirkungen von Ursachen, chaotische Entwicklungen sowie Auswirkungen auf andere Systeme in ihrer Ganzheit vorhersagen (oder zumindest einschätzen) zu können. Es entspricht der Lehre Aristoteles der sogenannten Übersummativität oder Emergenz die sich in seinem verkürzten Zitat „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“ widerfindet.
Neben dem grundlegenden Aristoteles‘schen Holismus hat Jan Christiaan Smuts eine „tiefergehende“ metaphysische Theorie geliefert, die in der anglo-amerikanischen Philosophie wenig, dafür in der Psychologie etwas mehr Beachtung geschenkt wurde. Bald nach der Veröffentlichung von Smuts‘ Theory (Holismus und Evolution) schrieb Albert Einstein, dass zwei mentale Konstrukte das menschliche Denken im nächsten Jahrtausend leiten werden: sein eigenes mentales Konstrukt der Relativität und Smuts' Holismus. Einstein bemerkte über Smuts, er sei „einer von nur elf Männern auf der Welt“, die seine Theorien der allgemeinen und speziellen Relativitätstheorie begrifflich verstanden.
Zeitgenössische integrale Metatheoretiker, wie der amerikanische Philosoph Ken Wilber erkennen zwar viele grundlegende Einflüsse Smuts an und doch wird seine Theorie des Holismus selten als ein wichtiger Vorläufer der zeitgenössischen integralen Metatheorie anerkannt, ungeachtet des bedeutenden Beitrags, der auf Smuts' Holismus in der Entwicklung dieser und weiterer philosophischer Ideen und des der anglo-amerikanischen Psychologie zurückzuführen ist.
Überlegungen zur Emergenz stammen vor allem aus den Diskussionen zur deutschen Systemtheorie und werden sowohl in den Naturwissenschaften als auch in der Philosophie und den Sozialwissenschaften verfolgt. Bisher betrachteten die USA, wenn man den Wirtschaftshistorikern der Harvard University glauben mag, die deutsche Ganzheitslehre kritisch und verbinden diese mit dem Nationalsozialismus, da in der aristotelischen Tradition, die Beziehung der Gesellschaft zu ihren Mitgliedern, als das einer Ganzheit zu ihren Teilen begriffen wird, was in der Übersteigerung der Ganzheit als Totalität zum totalitären Staat geführt hat.
Die MAGA-Bewegung um Donald Trump dürfte die Gedanken zum Totalitarismus für ihre libertäre Ideologie positiv aufnehmen. Demnach müsste die regierende US-Administration Organismen als Beispiele für Ganzheiten sehen, deren Organe oder Glieder als Teile dieser Ganzheiten in materialen, existentiellen und funktionalen Abhängigkeiten stehen. Darüber hinaus wird unter Organismus aber jede dynamisch geordnete Ganzheit verstanden; der Begriff wird bspw. auch auf Völker, Kulturen und Lebensordnungen angewandt.
Wie die Systemtheorie vertritt der Emergenzbegriff einen umfassenden Erklärungsanspruch, der das Phänomen emergenter Selbstorganisation als durchgängiges Prinzip der materiellen Welt und der Welt des Geistes versteht und als Autopoiesis bezeichnet wird. Doch gerade die Theorie komplexer Systeme baut auf systemtheoretischen und chaostheoretischen Erkenntnissen zur Emergenz auf.
Nun, die USA sollten, möchte man meinen, für die Systemtheorie offen sein: Hier hat bspw. die Rechtstheorie in der Wissenschaft einen relativ hohen Stellenwert. Interdisziplinarität im Entstehungsprozess wird zwar in den Vereinigten Staaten für wichtig gehalten (gerade in der Forschung und Entwicklung und in der Wirtschaft), trotzdem sind die USA eines der Länder, in denen die Bedeutung auf höheren Ebenen (wie Gesellschaft, Rechtstaatlichkeit) der Systemtheorie immer noch, im Vergleich zu anderen Ländern, relativ gering geblieben ist. In einigen Gebieten finden sich systemtheoretische Diskussionen, insb. im Bereich der Nachhaltigkeit (Sustainability) und im Recht allgemein in der „New Governance“ (bei welcher allerdings die Systemtheorie in Teilen mit demokratischem Experimentalismus gleichgesetzt wird) sowie im Völkerrecht und teilweise in anderen Gebieten wie etwa dem Beweisrecht.
Zum Kanon von wissenschaftlichen Theorien gehören die Systemtheorie, der Holismus und die Kybernetik indes nicht. Hinzu kommt, dass die Systemtheorie in den USA teilweise verändert rezipiert und teils auch einfach missverstanden wird. Beispielsweise wird das Element der Autopoiese häufig weggelassen, womit die Systemtheorie eines wesentlichen Elements beraubt wird. Zudem wird angenommen, die Systemtheorie erlege dem Rechtssetzer (Regierung oder Gesetzgeber) ein unmögliches Maß an Feinabstimmung der Regulierung auf, womit die Komplexitätsreduzierung (sozialer Systeme) durch "operative Schließung" und "kognitive Öffnung" nicht richtig erkannt wird. In der Systemtheorie nach Niklas Luhmann, beschreibt operative Schließung die Selbstbezüglichkeit und Autonomie sozialer Systeme, während kognitive Öffnung ihre Fähigkeit zur Informationsaufnahme und -verarbeitung aus der Umwelt meint. Alle kognitiven Systeme prozessieren Unterscheidungen. Die operative Geschlossenheit ist dabei die Voraussetzung für die kognitive Öffnung (Strukturelle Kopplung).
einfache Antworten auf komplexe Fragen.
Gerade weil die USA der Systemtheorie bzw. dem Holismus wenig Beachtung schenken, dafür aber der kognitiven Psychologie umso mehr, gilt auch aufgrund der amerikansischen Empirie zur propagandistischen Kommunikation bzw. den Erkenntnissen und Erfahrungen in Public Relations (Propaganda als komplexe Wissenschaftlich Disziplin) die Nähe zu einer "populistischeren" Haltung in der Politik, die sich immer wieder auf beiden Seiten des politischen Lagers der USA insb. in der Realpolitik zeigt: die Kunst einfache Antworten auf komplexe Fragen zu liefern und die Konsequenzen im Sinne der Nützlichkeit zu erklären.
Emergenten Strukturen einer komplexen Weltgesellschaft
Vor allen anderen hat Niklas Luhmann die Vorstellung einer Weltgesellschaft in ein systemtheoretisches Konzept gefasst. Dabei knüpft er an seine Unterscheidung von kognitiven und normativen Erwartungen an und sieht die Weltgesellschaft als "Wissensgesellschaft" aufziehen.
Geht man mit dem Systemtheoretiker Luhmann davon aus, dass es eine und nur eine Weltgesellschaft gibt, dann lässt sich rückwärtsgewandt die Frage stellen, auf welchem Weg die wenigen großen und vielen kleinen Kulturkreise zur Weltgesellschaft zusammengewachsen sind. Im Ergebnis läuft es darauf hinaus nach neuartigen, emergenten Strukturen der Weltgesellschaft zu suchen. Nach Rudolf Stichweh sind es „Eigenstrukturen der Weltgesellschaft.“ Er weist zunächst drei populäre Theorieangebote zurück. Es sei wenig überzeugend:
den Weg zur Weltgesellschaft als Kampf der Kulturen (Huntington) zu beschreiben oder
ihren Zustand als Ensemble von multiplen Modernen (Eisenstadt).
Auch totale Konvergenz im Sinne von „McDonaldisierung“ sei nicht angesagt.
Luhmann hatte die großen Funktionssysteme als Antreiber der Weltgesellschaft genannt, allen voran die Wirtschaft und weit hinterher das Recht. Auch Stichweh knüpft bei den "Funktionssystemen" an. Sie sind „die wichtigsten Kandidaten“ für Eigenstrukturen der Weltgesellschaft. Sie bilden Kommunikationszusammenhänge, in denen man sich weltweit vergleichend beobachtet.
Beim Versuch, Donald Trump die globalen Zusammenhänge systemisch zu erklären bzw. ihm die möglichen Ursachen von Wechsel-, Neben- und Rückwirkungen seiner bisherigen chaotischen Entscheidungen vorzuhalten und Szenarien von Entwicklungen zu beschreiben, würde man im Oval Office gegen eine Wand fahren. In diese Einbahnstraße hat sich Friedrich Merz nicht begeben. Stattdessen hat er den historischen D-Day mit der zukünftigen Befreiung der Ukraine verknüpft und eindimensional argumentiert.
Warum es die richtige Strategie ist, dem US-Präsidenten keine Systemtheorie beizubringen, zeigt insb. die Rechtsvergleichung, die ein historisch frühes Beispiel dieses globalen Kommunikations- und Vergleichszusammenhangs wäre. Ähnlich beobachten sich heute mehr oder weniger alle Wissenschaftsdisziplinen, die medizinische Therapie und Grundschulpädagogik, der Kunstbetrieb und die Touristik. Die wechselseitige Beobachtung findet statt über Organisationen und Netzwerke, in epistemischen Gemeinschaften und über Weltereignisse, und letztlich über den globalen Markt (Ökonomie).
Mit Luhmann betonen auch die deutschen Rechtstheoretiker Andreas Fischer-Lescano (Europarecht, Völkerrecht, Rechtspolitik) und Gunther Teubner (Vergleichende Rechtswissenschaft), dass die Entstehung einer Weltgesellschaft weit fortgeschritten sei. An einer Systemtheorie des Rechts, haben die beiden das Recht als autopoietisches System untersucht und an der Fragmentierung des globalen Rechts gearbeitet (Regime-Kollisionen). Gerade die Rechtswissenschaft und das Recht an für sich (Verfassung) liefert hinsichtlich sich veränderten Systemen, Hinweise zu einem sich selbsterschaffenden und erhaltenden gesellschaftlichen Konstitutionalismus in der Globalisierung – und ihre Grenzen (Weltsystem).
Die gesellschaftlichen Teilsysteme, allen voran die Wirtschaft, haben sich zu Weltsystemen entwickelt, und sie zeigen großen Expansionsdrang. Nur Politik und Recht hinken noch hinterher. Sie haben auf Weltebene nicht die Kapazität, eine gewisse Steuerung der Gesellschaft zu bewirken und für Erwartungssicherung und Konfliktregelung zu sorgen, Leistungen, auf die die anderen Teilsysteme eigentlich angewiesen sind. Daher sorgen die übrigen Systeme selbst für die Lösung, indem sie sich zur normativen Absicherung ihrer „hochgezüchteten Bereichslogiken“ auf selbstgeschaffenes transnationales Recht stützen. Als These formuliert:
Die voll globalisierten Teilsysteme der Gesellschaft – allen voran Wirtschaft und Wissenschaft, aber kaum weniger etwa Sport und Kunst – decken mangels eines einheitlichen Weltrechts ihren Koordinierungs- und Regelungsbedarf durch Selbstorganisation. So ist längst ein „Weltrecht ohne Staat“ entstanden (für ein Weltrecht, das jenseits von nationalstaatlicher oder internationaler Politik entstanden ist).
Selbstkonzept: Eine Frage der Identität
Die Außenpolitik der Vereinigten Staaten weist sowohl ideengeschichtlich als auch in praktischer Hinsicht einen starken Bezug zu geopolitischen Paradigmen auf. Diese sehen eine Einschränkung und Kanalisierung politischen Handelns durch geographische und topographische Eigenschaften des Erdballs als gegeben an, und versuchen, diese zu erklären. Geopolitische Legitimations- und Interpretationsmuster stellen eine Konstante des außenpolitischen Diskurses in den USA dar, sind jedoch nicht umfassend anerkannt und vor allem in idealistischen Theorien der Außenpolitik umstritten. Der amerikanische Diskurs spiegelt den internationalen wider, in dem staatstragende und praktisch nutzbare geopolitische Erkenntnisse überwiegen, kritische Ansätze jedoch an Bedeutung gewinnen.
Mit Hinblick auf die Zukunft in Bezug auf die globale Rolle der USA und Deutschlands in Europa geht es im transatlantischen Bündnis um die (neu)-Integration in eine bereits organisierte Gemeinschaft, nämlich der NATO (dies gilt auch für Handelsbeziehungen im europäischen Kontext). Im Falle Deutschlands geht es in der Beziehung zu den USA nicht um die Souveränität, es geht im amerikanisch-geostrategischen Sozial-Darwinismus (erneut) um die Identität (Loyalitätsfrage). Bei Trump auf Souveränität zu pochen gleicht einem Selbstmord. Dies hat die Vorgängerregierung getan und Deutschland ist gerade deshalb in Ungnade gefallen. Der neue Kanzler Friedrich Merz muss im Wiederaufbau der Beziehung zu den USA nach dem Gemeinsinn (Common-Sense-Philosophie) Ausschau halten und eine (neue) Grundlage (Common Ground), in einer polarisierenden Welt schaffen (vgl. Herbert H. Clark und Edward F. Schaefer).
Eine Grundlage für eine universelle Kooperation und Verständigung schaffen.
Um unter der US-amerikanischen Realpolitik Mitglied der Gesellschaft bzw. eines Bündnisses oder um bilateraler Partner zu werden oder als solcher zu (ver-)bleiben, muss ein Staat die Rollen und Einstellungen der „signifikanten, konkreten od. individuellen Anderen“ (Europäische Union, WTO, UN, etc.) oder des Anderen (USA) und somit die Moral und die Normen dieses Bündnisses (hier NATO, westliche Hemisphäre) bzw. der USA bis zu einem gewissen – individuell verschiedenen – Grad übernehmen. Merz ist also gut darin beraten gewesen sich diesen Punkt bewusst zu machen und hat deshalb am Selbstkonzept Deutschlands und damit an der Identität sowie erneut am konsistenten Selbstbewusstsein des Landes (und der deutschen Gesellschaft) angesetzt.
Die Struktur einer vollständigen Identität ist eine Spiegelung des vollständigen gesellschaftlichen Prozesses. In Trumps „Game“ wurde die zukünftig zu erwartete Rollenübernahme Deutschlands bereits mehrfach von der US-Administration adressiert. Dabei soll die deutsche Regierung die Perspektive der USA einnehmen, so wie schon in der Vergangenheit bzw. den 75 Jahren zuvor. Mit der Gründung der Bundesrepublik 1949 hat sich Deutschland längst zu der Rolle eines loyalen Verbündeten entwickelt. In den ersten 50 Jahren war die Orientierungsgrundlage des Handelns noch als antizipierte Handlungen vertretbar, über diesem Stadium ist die Beziehung zwischen den beiden Ländern jedoch längst drüber. Hier hat sich Deutschland zuletzt in den Augen der Trump-Administration wie ein trotziges Kind verhalten.
Im Punkt der bilateralen Beziehung geht es um das Identitätsbewusstsein und hier hat Deutschland in der sozialen Praxis (social act) unter der Ampel-Regierung, nicht das von den USA erwartete Spiel (play) gespielt. Im Weißen Haus hatte Merz deshalb nur eine Aufgabe, um damit vorerst ein Ziel zu erreichen: Eine Grundlage für eine universelle Kooperation und Verständigung schaffen. Das ist Friedrich Merz über geschickte symbolvermittelte Kommunikation gelungen, der die Perspektive geradegerückt hat.
Perspektivenübernahme in der Praxis
Das Berater-Team um Merz hat womöglich bei der Perspektivenübernahme Deutschlands im Social Act (Praxis) bedacht, was die Begriffe Interaktion, Intersubjektivität und Intercity nach der Chicago School bedeuten: Aktionen und Subjekte werden nicht nachträglich miteinander verknüpft; es gibt sie nicht ohne die übergreifende Praxis. Sie werden in die soziale Praxis hineingeboren und entstehen aus ihr, als geistig eigenständige Gebilde.
In der logischen Konsequenz ist es wichtig für das Team-Merz hier den Begriff Intersubjektivität zu präzisieren, denn die Intersubjektivität spielt hauptsächlich dann eine Rolle, wenn betont werden soll, dass bestimmte Probleme nur dann angemessen behandelt werden, wenn "Beziehungen zwischen Personen" mit ihren jeweiligen Sichtweisen zugrunde gelegt werden. Diese Positionen werden im Bereich der politischen Theorie wie in der Wissenschaftstheorie gleichermaßen vertreten, so wie in der Ethik oder der Diskurstheorie und insb. einer Konsenstheorie der Wahrheit um Habermas, Apel und Lorenzen aber auch Hume und seinem Gesetz (Humes Gesetz und Naturalistischer Fehlschluss):
„Demgegenüber verfahren metaphysische Wahrheitstheorien, indem sie praktische Fragen in demselben Sinne wie theoretische für wahrheitsfähig erklären, zu extensiv […]; und positivistische Wahrheitstheorien verhalten sich, indem sie die Wahrheitsfähigkeit praktischer Fragen überhaupt leugnen, zu restriktiv.“ – Jürgen Habermas, Wahrheitstheorien, 1973, S. 230.
Werturteilsstreit als Grundlage: Von Zwecken und Mitteln
Die heutige Zeit erinnert an den Werturteilsstreit der Gesellschaftstheorie der 1930er und (bis) 1960er Jahre um Adorno und Horkheimer mit Marcuse und Fromm der Frankfurter Schule (Kritische Theorie) auf der einen Seite und des Kritischen Rationalismus um Popper und Albert auf der anderen Seite, die sich während Weltwirtschaftskrise, Krise der liberalen Demokratien, Aufkommen diktatorischer Regime, Zweiter Weltkrieg, Expansion der Kulturindustrie, im Positivismusstreit unterschiedlich veränderten.
eine Lebenseinstellung, „die zugibt, dass ich mich irren kann, dass du recht haben kannst und dass wir zusammen vielleicht der Wahrheit auf die Spur kommen werden“.
Die Frankfurter Schule ging in eine negative Geschichtsphilosophie über, ohne Hoffnung auf absehbare Umgestaltung der „totalitär“ (Adorno/Horkheimer) und „eindimensional“ (Marcuse) gewordenen gesellschaftlichen Verhältnisse. Popper dagegen setzt dem Positivismus den Relativismus entgegen und propagiert, dass Probleme undogmatisch, planmäßig (methodisch) und vernünftig (rational) untersucht und geklärt werden können. Es ist eine Lebenseinstellung, „die zugibt, dass ich mich irren kann, dass du recht haben kannst und dass wir zusammen vielleicht der Wahrheit auf die Spur kommen werden“.
Kennzeichnend für den Relativismus ist ein vorsichtig optimistischer Blickwinkel auf Leben und Dinge (siehe dazu: Alles Leben ist Problemlösen und Auf der Suche nach einer besseren Welt). Dabei sucht er nach einem Ausweg aus der Wahl zwischen:
Szientismus: der Wissenschaftsgläubigkeit und der Auffassung, dass wissenschaftliches Wissen auf positiven Befunden aufbauen muss (Positivismus).
Wahrheitsskeptizismus: dem Standpunkt, dass Wahrheit vom Blickwinkel abhängig ist (Relativismus) und dass Wissen der Willkür preisgegeben ist, wenn Beweise unmöglich sind.
Intersubjektivität, als erkenntnis- und wissenschaftstheoretisches Kriterium, ist schon immer Gegenstand grundlegender Debatten in der Philosophie und den Sozialwissenschaften seit der soziologischen Theorien von Max Weber. Der Antrittsbesuch des Kanzlers in Washington gibt erneuten Anlass dazu darüber zu diskutieren ob die Sozialwissenschaften normativ verbindliche Aussagen, über die von der Politik und der Nationalökonomie zu ergreifenden Maßnahmen treffen sollen bzw. ob politische Handlungen wissenschaftlich gerechtfertigt werden können (Werturteilsstreit).
Um die einem Zweck angemessenen Mittel zu finden, wird ein Fachmann, ein Wissenschaftler benötigt; die Entscheidung über die Zwecke dagegen ist Politik.
Nach der Erweiterung der Theorien von Weber besteht Konsens zwischen beiden Lagern um Adorno et al vs. Popper et al, darüber, dass bei einer wissenschaftlichen Theorienbildung Werturteile immer eine Rolle spielen. Die Trennung zwischen „Zwecken (d. h. Werten) und „Mitteln“, um diese Zwecke zu erreichen, gehöre zum logischen Besteck der empirischen Sozialwissenschaft. Diese könne:
die Angemessenheit eines Mittels bei gegebenem Zweck beurteilen und eine Zwecksetzung in bestimmter historischer Situation als sinnvoll (erreichbar) oder sinnlos (unerreichbar) beurteilen.
weitere Folgen der angewendeten Mittel zeigen und so das Material zur Abwägung bereitstellen (die Entscheidung zugunsten der einen oder der anderen Folgewirkung ist aber eine Wertfrage und der empirischen Wissenschaft logisch unzugänglich).
die innere Widerspruchslosigkeit der Zwecke prüfen und die vorgegebenen Zwecke auf heimlich zugrundeliegende letzte Zwecke zurückführen.
Merz und seine Berater werden die Trennung zwischen Zweck und Mittel mit den Augen Max Webers betrachtet und sich mit seiner Theorie auseinandergesetzt haben. Weber sieht die Gültigkeit von Werten, als wissenschaftlich nicht beweisbar und im Übrigen Werte auf vielfache Weise in die Arbeit des Wissenschaftlers eingreifen. Die logische Trennung zwischen Zweck und Mittel läuft nach Weber auf eine funktionale, personelle Trennung hinaus: Um die einem Zweck angemessenen Mittel zu finden, wird ein Fachmann, ein Wissenschaftler benötigt; die Entscheidung über die Zwecke dagegen ist Politik. Freilich könne der Wissenschaftler seine politischen Werte nicht als „Wissenschaftler“ vertreten; im Moment der Wertung wechsle er seine Funktion in der Gesellschaft und werde zum „Politiker“.
Die Wege, auf denen Politik und empirische Wissenschaft zu ihren Ergebnissen und Entscheidungen kommen, haben bei Weber also grundsätzlich verschiedene Struktur: empirischer Wissenschaft kann, die methodisch saubere Umformung von Aussagen in andere Aussagen gelingen, nicht aber die von Aussagen in Imperative.
Gesinnungs- und Verantwortungsethik als Verbindungsprinzipien
Aus Sicht des Soziologen Wolfang Schluchter, wird das Verhältnis der beiden Wertbegriffe Gesinnungsethik und Verantwortungsethik „nirgends definiert, sondern überall nur ausgeführt“. Schluchter gilt als Forschers des okzidentalen Rationalismus Max Webers und interpretiert die beiden Begriffe doppeldeutig:
Verantwortungsethik ist als eine Ethik der Zweck-Mittel-Beziehungen von der Gesinnungsethik als einer Ethik der Ziele zu unterscheiden: ergänzen würden sie sich insofern, als eine Ethik der Zweck-Mittel-Relationen erst sinnvoll, wenn Ziele gewollt werden.
Gesinnungs- und Verantwortungsethik gelten als Verbindungsprinzipien zwischen Ethik und Politik, durch die rein formal Weisen der Verwirklichung von Wertpositionen angegeben werden: beide schließen sich somit einander aus, weil im aktuellen Geschehen immer nur einem der beiden Verbindungsprinzipien gefolgt werden kann.
„die Tatsache, daß ein Verantwortungsethiker in einer bestimmten Situation seine Gesinnung demonstriert, läßt sich als eine konsequente Anwendung der verantwortungsethischen Maxime interpretieren.“ - Wolfang Schluchter
Der ersten Interpretation ist Webers Rede „Politik als Beruf“ gegen die Gesinnungsethiker anzuführen, weil diese nicht die Ziele aus der Gesinnung selbst sind, sondern die Folgen, die dem Handelnden nicht bewusst sind:
„daß das schließliche Resultat politischen Handelns oft … in völlig inadäquatem, oft in geradezu paradoxem Verhältnis zu seinem ursprünglichen Sinn steht. Aber deshalb darf dieser Sinn: der Dienst an einer Sache, doch nicht etwa fehlen, wenn anders das Handeln inneren Halt haben soll. Wie die Sache auszusehen hat, in deren Dienst der Politiker Macht erstrebt und Macht verwendet, ist Glaubenssache. Er kann nationalen oder menschheitlichen, sozialen und ethischen oder kulturlichen, innerweltlichen oder religiösen Zielen dienen, er kann getragen sein von starkem Glauben an den Fortschritt — gleichviel in welchem Sinn — oder aber diese Art von Glauben kühl ablehnen, kann im Dienst einer Idee zu stehen beanspruchen oder unter prinzipieller Ablehnung dieses Anspruches äußeren Zielen des Alltagslebens dienen wollen —, immer muß irgendein Glaube da sein.“
Weiter heißt es bei Weber:
„Wenn ihm aber mit reiner Gesinnungsethik im Glaubenskampf nachgejagt wird, dann kann es Schaden leiden und diskreditiert werden auf Generationen hinaus, weil die Verantwortung für die Folgen fehlt. Denn dann bleiben dem Handelnden jene diabolischen Mächte, die im Spiel sind, unbewußt …“.
Hieraus kann das Kanzleramt für ihre politische Arbeit mit den USA folgende für die politischen Beziehungen relevante Schlüsse ziehen:
Weber hängt einem Werterelativismus an, er will kein bestimmtes Glaubenssystem für richtig erklären.
Glaube ist die innere Triebkraft des politischen Handelns.
Die Folgen des gesinnungsethischen Handelns können wider die erwünschten Ziele sein, wenn der Handelnde die Mittel zum Zweck nicht ausreichend abwägen und damit die möglichen Konsequenzen nicht vorherberechnen kann (oder will).
Politik hat nichts mit der Rettung von Seelen zu tun. – Max Weber
Wenn einem Politiker wie Donald Trump, Wladimir Putin, Benjamin Netanjahu oder Massud Peseschkian – um nur die zu nennen die sich in kriegerischen Auseinandersetzungen befinden – die Folgen seines Handelns bewusst wären und er die Verantwortung für sie tragen wollte, wären viele Fehlentscheidungen eigentlich vermeidbar. So ist es dann von Interesse, den Begriff der „Verantwortungsethik“ als alternative Handlungsmaxime zu überprüfen.
In seiner Zweckrationalität propagiert Weber die Verantwortungsethik. Für das Tragen von politischer Verantwortung sind dem Begriff der Verantwortungsethik zwei Dinge vorausgesetzt:
die Fähigkeit, die Folgen des Handelns bewusst in Kauf zu nehmen: um die Folgen des (politischen) Handelns bewusst in Kauf zu nehmen, sollten Politiker sie vorher abschätzen können.
Gewalt oder Macht als Mittel bewusst einzusetzen: In Bezug darauf betont Max Weber, Politik habe nichts mit der Rettung von Seelen zu tun.
Dies scheint ein wertfreier Ansatz des politischen Realismus zu sein. Dementsprechend ist ein zweckrationales Handeln erforderlich, dessen Beziehungen zwischen Zweck und Mittel „mathematisch und logisch“ verständlich sind. In diesem Sinne tendiert das verantwortungsethische Handeln auch zum Zweckrationalen, nicht zum Wertrationalen. Im Vergleich zur Verantwortungsethik tendiert bei Weber die Gesinnungsethik zu Werturteilen:
„Der Gesinnungsethiker kann oft kein geeignetes Mittel anwenden, um seinen Zweck zu erreichen, vielmehr kann er sich nur „verantwortlich dafür fühlen, daß die Flamme der reinen Gesinnung nicht erlischt … Sie stets neu anzufachen, ist der Zweck seiner, vom möglichen Erfolg her beurteilt, ganz irrationalen Taten […]“
Nach Weber sind Glaubenssachen für die Wissenschaft unverständlich und deshalb wertrational, also Wertentscheidungen. Die Zweckrationalität, mit ihrem berechenbaren Charakter ist für ihn dagegen universell verständlich charakterisiert. Somit kommt der zweckrationalen Handlungsmaxime Webers (Verantwortungsethik) die Aufgabe zu, den Spielraum für die Wertkonkurrenz oder die Arena für den politischen „Kampf der Götter“ aufzubauen, denn die Zweckrationalität; sie ist, aus der Sicht von Weber, die einzige Möglichkeit, Spielregeln in der "Welt der Entzauberung" zu etablieren.
Mangel an Ideologiekritik: Kampf der Götter als Nationalkultur
Der Mangel an Ideologiekritik (Nationalkultur) in Bezug auf die Frage der Normativität macht eine normative politische Theorie nach Weber noch schwieriger und bietet für das Kanzleramt somit wenig Orientierung. In seinem wissenschaftlichen Ansatz hat sich Weber stets auf die rationale Entwicklung der Geschichte konzentriert, sprich die Seite des Seins analysiert und auf der anderen Seite die irrationale Entwicklung, das Sollen vernachlässigt. Sie kann jedoch als die Gegenthese zur behaupteten Rationalisierung gesehen werden.
Das bleibt bei Weber unverständlich, denn er beschrieb schon das Phänomen der Konkurrenz der Werte als (politischen) „Kampf der Götter“ und sah die Reaktion gegen die Rationalität voraus, doch die Funktion der Ideologien, die als Alternativen zur Religion auftauchten, überprüfte er nicht. Mit der sentimentalen Behauptung, die letzten und sublimsten Werte würden mit der "Entzauberung der Welt" aus der Öffentlichkeit verschwinden, übersah er, dass der Mensch stets über das Potential verfügt, neue Werte schöpfen zu können.
Aufgrund der dualistischen Position und der strikten Konzentration auf das Sein, fehlt der normativen Theorie von Weber das effektive „Rezept“, denn er gibt die Wertkritik auf — anders als Karl Marx, der betont, dass die Unterscheidung zwischen richtigem und falschem Bewusstsein (Wahrheit) stets präsent bleiben müsse. Sowohl Parson als auch Luhmann haben in ihrer Soziologie wie Weber selbst die Brücke zwischen Sein und Sollen nicht ausgebaut und damit die Wertproblematik nicht gelöst.
Wahrheitstheorie bedeutet, wenigstens bei Habermas, dass sie nicht nur erklären soll, unter welchen Bedingungen Behauptungen wahr sind, sondern auch, unter welchen Bedingungen wir berechtigt sind, Behauptungen für wahr zu halten. In diesem Sinne werden Behauptungen nicht von Realität, das Sollen nicht vom Sein, getrennt, denn die Realität, die wir die „Tatsachen“ nennen, kann nur durch Behauptungen festgestellt werden. Aber Wahrheit soll auch nicht mit Erfahrung gleichgesetzt werden, weil Wahrheit dasjenige ist, was auf Geltungsansprüchen beruht, die dazu befähigt sind, einen Konsens mittels Argumentation hervorzubringen.
Intersubjektivität im Pragmatismus
Die Intersubjektivität in der Ethik divergiert unter einzelnen Personen und einigen Kulturkreisen. Auch in der prägenden kulturellen Philosophie der USA, dem Utilitarismus, der bei rationalen Entscheidungen zu Gunsten des Gesamtziels kollaterale Schäden billigt. Die amerikanische Nutzethik kommt in Zeiten großer Umbrüche, in denen wir uns gerade befinden, deutlicher zum Ausdruck, wie es im historischen Kontext der Wirtschafts- und Geopolitik der USA schon öfter der Fall war.
wenn es Amerika gut geht, geht es allen gut.
Der amtierende US-Präsident Donald Trump vertritt heute mit seiner zynischen Politik bzw. Realpolitik – dem Trumpismus – eben diesen klassischen amerikanischen Pragmatismus, einer relativistische Nützlichkeitsphilosophie. Unabhängig davon wurde diese Philosophie des Utilitarismus in den USA von vielen Pragmatisten als Grundprinzip der Wahrheit gelehrt, wie oben erwähnt zum Beispiel Wahrheit als Cash Value bei William James.
Für James muss sich der Wert einer Theorie an ihrem „Cash Value“ messen lassen: Es zählen (beim Wahrheitsbegriff) die praktischen Konsequenzen, die aus ihr folgen. Wenn ihre Richtigkeit oder Falschheit für uns keinen Unterschied ergibt, so ist die Theorie überflüssig und darf falsch genannt werden. Dieser Maxime folgt Donald Trump in seiner (real)Politik.
“the value of a truth lies in its usefulness and ability to guide action, rather than abstract or theoretical worth.”
Interessant ist dabei das Konzept der Wahrheitsfindung. Demzufolge ist etwas dann wahr, wenn es für die USA nützlich ist, es zu glauben. Trump verkörpert den utilitaristischen Pragmatiker in der Wirtschaftspolitik wie seine amerikanischen Vorbilder von Andrew Jackson bis Richard Nixon und natürlich Ronald Reagan und George W. Bush.
Der amerikanische Utilitarismus, als Form der zweckorientierten (teleologischen) Ethik (Nutzethik), besagt auf eine klassische Grundformel reduziert, dass eine Handlung der Trump-Administration genau dann moralisch richtig ist, wenn sie den aggregierten Gesamtnutzen, d. h. die Summe des Wohlergehens aller Betroffenen, maximiert. Und Trump ist davon überzeugt: wenn es Amerika gut geht, geht es allen gut.
In Internationalen Beziehungen, ob in einem Bündnis oder bilateral, ist für den deutschen Bundeskanzler deshalb wichtig zu wissen: Trumps Entscheidung (z.B. über Dekret, Doktrin etc.) ist in den USA genau dann moralisch vertretbar, wenn es realpolitisch dem amerikanischen Volk nützlich ist und den Wohlstand der Landes maximiert. Die (teleologische) politische Praktiken (Norm) der Amerikaner stehen in einem anderen Widerspruch zur Realität wie bspw. die der (deontologischen) Europäer, wenn es um schöpferische und zerstörerische Verwirklichungsmöglichkeiten der Freiheit geht. Auch diesen Punkt gilt es zu beachten, wenn Interessen im Weißen Haus gegenüber Donald Trump bzw. Amerika vertreten werden sollen.
Aus Widersprüchen resultiert Angst, aus der Angst der Versuch, durch Machterwerb Sicherheit zu gewinnen. Aus dem Versuch Macht zu erwerben, zeigt sich das wahre Gesicht.
Wichtig dabei ist zu bedenken: Um Machtbalance geht es den USA nicht zwingend und im Sinne der Hegemonie ist ihr Zielkonflikt im Umgang mit der Ukraine und Europa erkennbar, der ideengeschichtlich auf das sozialdarwinistisch begründete geopolitische Denken des Imperialismus und dessen „rigiden moralischen Relativismus“ zurückzuführen ist (mehr dazu hier und hier).
Ethischer Relativismus
Der ethische Relativismus wird von manchen Kritikern als moralisch verwerflich oder gar politisch gefährlich angesehen, da dieser die universelle Geltung der Menschenrechte bezweifele. Ethische Relativisten verwerfen die Idee absoluter ethischer Werte. Verschiedene Teilströmungen leiten daraus unterschiedliche Konsequenzen ab:
Einige gehen davon aus, dass in letzter Konsequenz alle ethischen Werte und Aussagen über die Welt gleichermaßen wahr sind.
Andere vertreten die Position, dass einige Aussagen „wahrer“ oder „richtiger“ als andere sind.
Weiterhin mache der ethische Relativismus die moralische Verurteilung von Praktiken einer absoluten Ebene unmöglich. Relativistischen Theorien zufolge ist die Geltung von Aussagen prinzipiell abhängig von Voraussetzungen, die ihrerseits keine allgemeine Geltung beanspruchen können. Daher lassen sich relativistische Positionen danach einteilen,
welche Klasse von Geltungsansprüchen als relativ angesehen wird und
welche Art von Voraussetzungen in Anschlag gebracht wird.
Entsprechend den dabei möglichen Kombinationen ergibt sich eine Vielzahl verschiedener Spielarten relativistischen Denkens (Relationismus).
„Hinter jener These steht die Verachtung des Geistes zugunsten der Vormacht materieller Verhältnisse als des Einzigen, das da zähle. […] Relativismus ist Vulgärmaterialismus, der Gedanke stört den Erwerb.“ - Theodor W. Adorno
Vorerst ist für Trump und seine Administration jede Aussage relativ wahr und richtig. Es ist deshalb strategisch geschickter für den deutschen Bundeskanzler im Diskurs mit der US-Administration über den Wert einer Aussage (cash-value) und die Konsequenzen zu argumentieren. Hier sollte der Nutzen für die USA oder im besten Falle für beide im Fokus stehen.
Die Bedeutung der Aussagen, also wie der Kanzler etwas sagt, spiegelt sich im semantischen Relativismus wider. Doch auch in englischer Sprache vertritt der ontologische Relativismus die Ansicht, dass es keine absolute Wahrheit gibt, sondern die Wahrheit vom Beobachter abhängt (Wahrheitsrelativismus).
Jede Überzeugung, ob Religionen, Ideologien, Wissenschaften, Weltbilder etc. baut somit auf Dogmen und Axiomen auf. Da diese hinsichtlich ihres Absolutheitsanspruches von (politischen) Relativisten wie Donald Trump angezweifelt werden, gibt es keine absolute Wahrheit mehr.
Für Merz und seine Abgeordneten und Berater gilt deshalb: Da absolute Wahrheiten wegen ihrer grundsätzlichen Beziehungslosigkeit gar nicht für spezielle Problemlösungen verwertbar sind, sucht der Relativist auch keine absoluten Wahrheiten, sondern nur Begründungsendpunkte, von deren Geltung er zwar persönlich überzeugt ist, für die er aber grundsätzlich keinen Absolutheitsanspruch stellen kann und will.
Wahrheitsnahe Begründungsendpunkte statt universeller Gültigkeit
Es sei dahingestellt, ob nun im Relativismus eher eine "beschränkte Gestalt des Bewusstseins" zu sehen ist (Adorno) oder "selbstreferentielle Inkonsistenz", da der Relativist einen performativen Selbstwiderspruch begeht (Apel, Habermas, Hösle), geht man davon aus, dass der epistemische Relativismus universell gültig sei. Freilich müssten auch Relativisten einen Anspruch auf universelle Gültigkeit stellen, was sie aber nach ihrem Selbstverständnis grundsätzlich nicht tun; denn dann würden sie sich in ihrer Position freilich widersprechen.
Tatsächlich behaupten Relativisten wie Donald Trump, ohne einen Absolutheitsanspruch auszukommen. Natürlich braucht auch ein Relativist wie der US-Präsident Begründungsendpunkte zum Begründen. Diese sind von ihm aber nicht als Letztbegründungen im Sinne einer absoluten Wahrheit gedacht, wie etwa von dem Absolutisten und Kritiker des Relativismus Vittorio Hösle unterstellt wird; denn Begründungsendpunkte sind für ihn bezogen auf den subjektiven Standpunkt des Begründenden selbst.
Was Merz somit im Gespräch mit Trump richtig gemacht hat, ist gemeinsame Begründungsendpunkte auszuloten, wenn schon kein gemeinsamer „Rahmen“ aus grundlegenden Annahmen besteht, da der These der Inkommensurabilität (Unvergleichbarkeit von Theorien) unterschiedliche „Paradigmen“ zugrunde liegen. Den US-Präsidenten vor der Öffentlichkeit im Weißen Haus von der europäischen Haltung zum Ukraine-Russland-Konflikt zu überzeugen, wäre fatal. Deutschland bzw. die Europäer können jedoch mit rationalen und objektiven Methoden und auf Grundlage ihres vorläufigen Wissensstandes festlegen, welche der Theorien zu Putin wahrheitsnäher ist.
Aufgrund der Unvergleichbarkeit von Theorien können wir zwar niemals Gewissheit über die Wahrheit unseres (Vermutungs-)Wissens erlangen (vgl. Fallibilismus), an der objektiven Wahrheit und dem Streben danach können und müssen wir aber festhalten (Popper). Denn bei einander widersprechenden Theorien über die Wirklichkeit gibt es zwar kein rationales Verfahren, mit dem wir die Wahrheit der einen und die Falschheit der anderen Theorie endgültig begründen könnten.
Der Politphilosoph und Ideengeschichtler Isaiah Berlin verdeutlicht die Bedeutung der Begrifflichkeit in Zusammenhang mit dem Relativismus auf den Punkt:
„Wenn Wörter wie subjektiv, relativ, vorurteilsbehaftet und voreingenommen nicht Vergleichs- oder Kontrastbegriffe sind, wenn sie nicht auf die Möglichkeit ihres Gegenteils verweisen, auf objektiv (oder zumindest weniger subjektiv), auf unvoreingenommen (oder wenigstens weniger voreingenommen), was sollen sie dann überhaupt bedeuten? Sie auf alles zu beziehen, sie als absolute, statt als korrelative Ausdrücke zu verwenden, ist eine rhetorische Verdrehung ihrer gewöhnlichen Bedeutung.“
Isaiah Berlin räumt ein, dass kulturelle und historische Bedingtheiten wirksame Größen sind, betrachtet eine streng relativistische Position jedoch als falsch:
Um interkulturelle Kommunikation und gegenseitiges Verständnis zu ermöglichen, müsse in bestimmtem Ausmaß „gemeinsamer Boden“ (common ground) bestehen, welcher objektiv sei.
Gegen den ethischen Relativismus argumentieren die (Neu-)Scholastik und das Naturrecht und insb. der Realismus. Diese bestreiten zwar keinesfalls, dass ethische Relativisten auch ethische bzw. moralische Überzeugungen hätten bzw. praktizieren könnten, allerdings weisen sie darauf hin, dass sich ihre Überzeugungen häufig widersprächen und so nicht (alle) wahr sein könnten. Relativisten sehen jedoch keine Möglichkeit, absolute Wahrheiten zu etablieren, so dass alle unterstellten Widersprüche nur aus der Sicht von absolutistischen Positionen als solche erscheinen.
Intersubjektivität und die Grenzen der universellen Moral
Übereinstimmung über moralische Urteile sind oft wesentlich schwerer zu erzielen als etwa bei Erfahrungsurteilen, jedoch gibt es eine moralische Bedeutung im politischen Handeln. Die Verfolgung von moralischen Zielen birgt oft die Gefahr, dass das Gegenteil dessen, was erreicht werden sollte, erreicht wird. Deshalb sind zwei Punkte in politischen Handlungen zu berücksichtigen:
Moralische Ziele müssen in der Politik in realistischer Weise verfolgt werden.
Die Grenzen universaler Moral und das Problem der Anwendbarkeit eines universalen Moralbegriffs in der komplexen Welt der Internationalen Politik.
Dies führt zwangsläufig zu der Problemstellung in der Konsensfindung, die alle politischen Akteure gleichermaßen herausfordert, jedoch in der Realpolitik unterschiedlich bewertet wird:
Staaten können nicht nach einer individuellen Moral handeln.
Staatsmänner können sich nicht auf moralische Tugenden wie Vertrauen, Treue und Ehrlichkeit verlassen.
Der Einigung bei Interessenkonflikten stehen ethische Grundsätze im Weg, die moralisch entsprechend gedehnt, neu definiert oder verraten werden.
Dies ist auch der Problemhintergrund metaethischer Diskussionen über die Realität moralischer Wahrheiten:
Während moralische Realisten auf die eine oder andere Weise auf einer Wahrheit moralischer Urteile bestehen (siehe auch Naturrecht), die dann unterschiedlich erklärt wird,
sprechen moralische Antirealisten aus unterschiedlichen Gründen und mit unterschiedlichen Erklärungen moralischen Urteilen Wahrheit schlicht ab und verstehen sie etwa als Ausdruck von Interessen oder Empfindungen;
während metaethische Relativisten die Gültigkeit auf bestimmte Bedingungen relativieren, die ggf. nur von bestimmten Personenkreisen, Kontexten o. Ä. erfüllt werden.
Setzt zum Beispiel Donald Trump voraus, dass nur wahr sein kann, was „objektiv“ epistemisch zugänglich ist, könnte er die Auffassung verteidigen, dass zwischen moralischem Realismus oder Antirealismus entscheidet, ob moralische Wahrheiten objektiv zugänglich sind. Versteht Trump „intersubjektiv“ als Abschwächung von „objektiv“ und vertritt dieser, dass als wahr, gerechtfertigt oder gültig verstanden wird, was „intersubjektiv“ zugänglich ist, verkomplizieren sich derartige Probleme. Bis auf Widerruf neigt ein solcher Ansatz zu relativistischen Positionen und einer Haltung des US-Präsidenten, wie es gegenwärtig zu beobachten ist.
Evolution der Moral: Survival of the fittest
Die evolutionäre Ethik ist „eine der wichtigsten Varianten des ethischen Naturalismus“ und geht zurück auf die Begründer um den Polyhistor und Systemphilosoph Herbert Spencer. Zu den Vertretern gehörten schon der Agnostiker und Unterstützer des Empirismus Thomas H. Huxley (Evolution und Ethik) des 18. Jhr. sowie die Wissenschaftshistoriker und Evolutionsforscher Edward O. Wilson, der Ende der 1990er Jahre zu den „einflussreichsten Menschen Nordamerikas“ gehörte (TIMES Magazin). Zu den heutigen Protagonisten der evolutionären Ethik des Naturalismus, gehört der an der Universität von Chicago forschende Robert J. Richards.
Bereits in The Insect Societies vertrat E. O. Wilson die Ansicht, dass in der Evolution Gene und nicht Individuen im Mittelpunkt der Betrachtung stehen sollten. Dieses Thema wurde später von Richard Dawkins detailliert betrachtet und in seinem Buch "The Selfish Gene" popularisiert. Dawkins bezog sich dabei allerdings nicht auf Wilson und verwendete auch den von ihm geprägten Begriff Soziobiologie nicht in seinen Arbeiten.
Der Neo-Darwinist und Namensvetter David Sloan Wilson brachte mit E. O. Wilson anstelle der in der Soziobiologie oft als grundlegend betrachteten Verwandtenselektion mit der Multilevel-Selektion ein Modell ins Spiel, welches das vorher oft als grundlegend diskreditiert angesehene Modell der Gruppenselektion rehabilitierte. Die Theorie der Multilevel-Selektion soll erklären, dass es unterschiedliche Ebenen gibt, auf denen die natürliche Selektion angreifen kann. Die gängige neodarwinistische Theorie, dass nur das Individuum Objekt der Selektion sei (oder – bei Dawkins – nur das Gen), wird durch eine übergreifende Theorie ersetzt: Selektionskräfte wirken dieser Theorie zufolge sowohl unterhalb des Individual-Levels (Organe, Zellen, Gene) als auch oberhalb (Gruppe, Population) – gegebenenfalls sogar simultan.
Wilsons Arbeit wird kontrovers diskutiert. So stößt Wilson vom linken Spektrum auf Kritik, bei der ihm eine zu große Nähe zu Rassismus, Sexismus und Sozialdarwinismus vorgeworfen wird. Wilson selbst war zumindest der Ansicht, dass „moralisches Denken auf jeder Ebene naturwissenschaftlich erklärbar“ sei. Die politische Rechte in den USA (far-right der libertären Bewegung), die nach der sozial- und neosozialdarwinistischen Lehre die Welt aktiv verändern möchte (da sich ihrer Auffassung nach und der Interpretation Wilsons Arbeit, die Gesellschaft nicht selbst verändern kann und menschliches Verhalten allein durch Gene erklärbar ist), positionierte sich gegen Wilson (nur), weil er „hysterisch“ vor Artenschwund und Umweltzerstörung gewarnt habe.
Das ist der springende Punkt: die libertäre und konservative Führung der USA, die sich einen von einer Elite geführten Staat herbeisehnen (Totalitarismus) akzeptieren keine biologisch determinierte Evolution (biologischer Determinismus) und wollen selbst ihre Zukunft (und die der Menschheit) in die Hand nehmen. Sie folgen der evolutionären Ethik und sehen den Menschen, inklusive aller seiner geistigen Fähigkeiten, durch die Evolution entstanden. Daher ist auch sein moralisches Verhalten einem evolutionären Selektionsprozess unterworfen.
Für Donald Trump und seine Anhänger müssen folglich alle moralischen Vorstellungen so gestaltet sein, dass sie einen (Überlebens-)Vorteil (Survival of the Fittest) entweder dem einzelnen Organismus, dem Gen oder Mem (Memtheorie, Memplex), welches das Verhalten generiert, oder – nach anderer, jedoch umstrittener Ansicht – einer Gruppe über Verwandtenselektion (kin selection) bringen. Dawkins bezeichnete Mems als „Ideen, Überzeugungen, Verhaltensmuster“ und betrachtet das Mem als kulturelles Pendant zum biologischen Gen (gene). Er veranschaulichte damit das Prinzip der natürlichen Selektion (natural selection), deren Grundeinheit Replikatoren von Informationen sind. Trumps Kommunikationsstrategie nutzt dies Erkenntnisse der Mem-Theorie durchgehend und sehr effektiv für seine populistischen Botschaften.
Dabei setzt die Evolutionäre Ethik eine naturalistische Metaethik voraus. Es gibt für sie weder übergeordnete moralische Werte noch allgemein gültige moralische Normen. Auch gibt es keine natürlichen Rechte und Pflichten. Alle Normen sind von Menschen aufgestellt, zeitgebunden, manchmal sogar personengebunden. Dies entspricht der Idee einer politischen Form des antidemokratischen Elitarismus oder nation-konservativen Elitismus, bei der eine "neuen Monarchie" in den USA bei der der US-Präsident (Trump bezeichnete sich in den Medien selbst als König) mit weitestgehender Macht ausgestattet ist. Dabei können sich die Menschen auf Grundnormen einigen, die allen oder jedenfalls vielen ein friedliches Zusammenleben ermöglichen.
Normativ ist eine evolutionäre Ethik somit kontraktualistisch. Ein Beispiel für einen solchen Vertrag ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR), eine nicht bindende Resolution der Vereinten Nationen von 1948.
Sieg der besseren Leistung: Das Recht des Stärkeren
Hierbei wird die Komplexität einer einheitlichen Ethik, bzw. einer universellen Moral deutlich. Der moralische bzw. ethische Relativismus (Werterelativismus) lässt sich in einen deskriptiven und normativen Realismus unterscheiden:
Während beim deskriptiven Relativismus die Moralvorstellungen der Menschen durch äußere Faktoren wie Kultur, Wirtschaftsordnung, Klassenzugehörigkeit etc. bedingt sind, sieht
der normative Relativismus, dass ein ethisches Urteil dann gültig sei, wenn es von dem moralischen Standpunkt der Gesellschaft von innen aus gesehen, welcher der Urteilende angehört, richtig ist.
Demnach kann nach deskriptiver Werteauffassung keine allgemeingültige Moral formuliert werden, da Maßstäbe und Werte relativ auf die Kultur sind, aus der sie sich herleiten (Melville J. Herskovits). Daher würde jeder Versuch, Postulate zu formulieren, die den Überzeugungen oder dem Moralkodex nur einer Kultur entstammen, die Anwendbarkeit einer Menschenrechtserklärung auf die Menschheit als ganze beeinträchtigen. Nach normativer Werteauffassung könnten ethische Konflikte zwischen zwei unterschiedlichen Traditionen nicht gelöst werden, da die Tradition (Kommunitarismus) der letzte Maßstab ethischer Rationalität betrachtet wird (Alasdair MacIntyre).
„Recht könne nur zwischen gleich Starken gelten, bei ungleichen Kräfteverhältnissen tue der Starke, was er könne, und erleide der Schwache, was er müsse […]“ – Perikles Athen, 431 v. Chr.
In Analysen zur Strategie und der Trump Agenda 47 (America First Politik), gelangt man zu der Auffassung der Trump-Administration von Naturrecht als „Recht des Stärkeren“. Unter der Voraussetzung der Gemeinnützigkeit bedeutete dies, dass gleiche Rechte den Sieg der besseren Leistung über angestammte Berechtigungen ermöglichen sollten. Diese Auffassung des „survival of the fittest“ und der Lehre des Darwinismus spiegelt sich sowohl in der wirtschaftlichen Ausrichtung der USA (Tickle-Down-Ökonomie) als auch einer politischen Ideologie, wie bspw. einer Technokratie und Elitokratie (Wahl-Aristokratie), bei der die politische Entscheidungsmacht einer ausgewählten (Selektion zur Elitenbildung) Gruppe (Menschen, Milieu) vorbehalten ist (Elitismus, Elitendemokratie).
Demokratie wird in der elitistischen Lehre nicht als Regierung des Volkes betrachtet, sondern als „Regierung des Volkes durch eine aus dem Volk hervorgegangene Elite“ (M. Duverger 1959: 431). Die Auffassung des berühmten französischen Politikwissenschaftler Duverger ist ein gewaltiger Unterschied zu Abraham Lincolns Demokratiedefinition:
„government of the people, by the people, for the people“!
In einer Elitendemokratie haben demokratische Abläufe wie Wahlen einzig den Zweck, die politischen Eliten zu bestimmen, die wiederum um die Gunst der Wahlberechtigten kämpfen. Weitere Möglichkeit der Mitbestimmung und Partizipation werden den Bürgern keine zugestanden. In dieser Theorie wird die Demokratie als einen Markt, auf dem politische Akteure wie Unternehmer um Wählerstimmen (sozusagen die Konsument) werben und als Tausch politische Produkte anbieten. Als Vertreter dieses Konstruktes gelten der Nationalökonom Joseph Schumpeter mit dem Werk „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“ (1950) und Anthony Downs mit seiner Abhandlung „Ökonomische Theorie der Politik“ (1957).
Die politische Idee um die MAGA-Bewegung geht jedoch einen Schritt weiter und koppelt die Wirtschaft als biologische Evolution an ihr Konzept: das ist der Grundgedanke der Evolutionsökonomik bei der Wirtschaftsprozesse in enger Analogie zu Prozessen in der biologischen Evolution ablaufen. Im Jahr 1899 forderte der US-amerikanische Ökonom Thorsten Veblen in seinem einflussreichen Essay eine stärkere Ausrichtung der Wirtschaftswissenschaften an der Biologie, da seiner Ansicht nach wirtschaftliche Theorien zu einseitig auf der Idee von Naturrechten (natural rights), Nützlichkeitsdenken (utalitarianism) und Verwaltungseffizienz (adminstrative efficiency) ruhten. Eine evolutionäre Wirtschaft sieht Veblen als eine Theorie eines Prozesses von sich entfaltenden Abfolgen (unfolding sequence), bei der streng kausaler Abhängigkeiten (causal relations), wie es in den Naturwissenschaften üblich sei, Beachtung geschenkt werden müsse. Richard R. Nelson und Sidney G. Winter formulierten eine Kernthese dazu:
Unternehmen würden tatsächlich nicht immer intelligenter, die Erfolgsprognose für wichtige Entscheidungen lägen oft außerhalb ihres Fassungsvermögens (beyond the grasp of real firms). Stattdessen könnte man Unternehmen als "more simpleminded not smarter", sprich einfacher modellieren und sie gleichzeitig in einem evolutionären Kontext betrachten (evolutionary versus neoclassical theories of economic growth). Die in der Thesis beschriebenen Mechanismen bleiben jedoch auf der Stufe einfacher evolutionärer Algorithmen, vergleichbar mit numerischen Verfahren zum Aufsuchen mathematischer Hochpunkte von Funktionsgraphen. Es sind darin selektive Prozesse beschrieben, aber es wurden an keiner Stelle Begriffe wie Erbinformation oder Gene verwendet. In der biologischen Evolution spielt die Kodierung über Erbinformation eine Rolle (Genetik), aber es sind auch andere Übertragungsmechanismen bekannt (Epigenetik). Von einer Theorie einer ökonomischen Evolution muss klar dargelegt werden, durch welche Prozesse die Merkmale von wirtschaftlichen Konkurrenten gezielt oder zufällig variieren. Wesentlich für die Modellbildung ist, dass solche Variationen in der Ausprägung (Phänotyp) von wirtschaftlich konkurrierenden Entitäten einen Einfluss auf die Verbreitung der Merkmale über zukünftige Individuen hat.
beyond the grasp of real firms.
Es ist für das Kanzleramt durchaus wichtig sich an dieser Stelle mit den Ideen um die mächtigen Tech-Unternehmern wie Peter Thiel, Elon Musk, Jeff Bezos und Mark Zuckerberg, die der Historiker Timothy Snyder als US-Oligarchen bezeichnet, zu befassen, die eine Neuroökonomie befürworten. Dabei werden diverse Ansätze der evolutionären Ökonomie gruppiert, die sich mit der Ausbildung unternehmensinterner Intelligenz nach dem Vorbild von Neuronen, Synapsen und anderen Strukturen von Gehirnen beschäftigen. Sie sehen den Wettbewerb in einer freien Wirtschaft bei der es um den Kampf um knappe Ressourcen und Technologievorsprung geht, als hinderlich. Die Wirtschaftsberater der US-Administration, die für den Mar-a-Lago Accord verantwortlich sind, arbeiten mit aller Macht am Umbau des globalen Wirtschafts- und Finanzsystems.
Die tief verwurzelte Verflechtung von Geld und Macht in den Vereinigten Staaten ist ein Erbe, das seit der Gründung der USA besteht und zur DNA der mächtigsten Nation der Welt gehört. Superreiche versuchen seit den Gründungsjahren die amerikanische Politik zu beeinflussen. Trump und seine Oligarchen haben eine Vision einer neuen Herrschafts- und Wirtschaftsform (Oligarchie mit Minarchismus) und sind dabei gleichzeitig die Demokratie nicht nur in den USA sondern weltweit zu gefährden (neue Systemordnung). Trotz zahlreicher Reformversuche wächst die Macht des Geldes seit Trumps Wiederwahl unaufhaltsam, die sich in der Zollpolitik global zuspitzt. Die USA hat kürzlich die Kryptowährung Bitcoin als strategische Reserve angelegt und Medienberichten zur Folge plant Thiel mit einer Gruppe von Milliardären, die Gründung eines neuen Finanzdienstleistungsunternehmens, das die Lücke schließen soll, die der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank im März 2023 hinterlassen hat.
Wettbewerb sei „eine Ideologie, […] die unsere Gesellschaft pervertiert und unser Denken zerstört“. - Peter Thiel
Des Weiteren sind die Denkmodelle dieser mächtigen Oligarchen und Unterstützer der Trump-Regierung zu analysieren. Geht es nach dem (rechts-)konservativ Libertären Peter Thiel, der sich auch als "Contrarian" bezeichnet (was sowohl seine Investitionsstrategie als auch seine politische Haltung betrifft), soll die USA nach erzkonservativen Vorstellungen zu einer traditionellen und autoritären Gesellschaft, nach dem Strauss Paradigma (Leo Strauss) "neu" rückgestaltet werden. Strauss' Denken lässt sich durch zwei Hauptthemen charakterisieren:
Die Kritik der Moderne und die Rückbesinnung auf die klassische politische Philosophie: Er vertrat die Auffassung, dass die Moderne, die sich in den italienischen Stadtstaaten des 15. Jhr. hauptsächlich in den Schriften von Niccolò Machiavelli abzeichnete, einen radikalen Bruch mit der Tradition der westlichen Zivilisation darstellte und zu einer Krise des Nihilismus, Relativismus, Historismus und Szientismus führte. Er behauptete, dass die modernen politischen und sozialen Wissenschaften, die sich auf empirische Beobachtung und rationale Analyse stützten, die wesentlichen Fragen der menschlichen Natur, der Moral und der Gerechtigkeit nicht erfassten und den Menschen auf bloße Objekte der Manipulation und des Kalküls reduzierten.
Die Kritik des modernen Liberalismus: Strauss sah diesen als ein Produkt der Moderne an, wegen seines Mangels an moralischen und geistigen Grundlagen und wegen seiner Tendenz, die Autorität von Religion, Tradition und Naturrecht zu untergraben.
Einige Kritiker haben Strauss vorgeworfen, elitär, illiberal und antidemokratisch zu sein. Der Journalist Seymour Hersh ist der Meinung, dass Strauss "edle Lügen" (noble lies) befürwortet, „Mythen, die von politischen Führern benutzt werden, um den Zusammenhalt der Gesellschaft zu wahren“. In seinem Buch "Die Stadt und der Mensch" (The City and Men, 1964) erörtert Strauss die in Platons Republik dargelegten Mythen, die für alle Regierungen notwendig sind. Dazu gehört der Glaube, dass das Land dem Staat gehört, auch wenn es unrechtmäßig erworben wurde, und dass die Staatsbürgerschaft auf etwas anderem als dem Zufall der Geburt beruht.
„Mythen, die von politischen Führern benutzt werden, um den Zusammenhalt der Gesellschaft zu wahren“
Die politische Journalistin Shadia Drury behauptet in ihrem Buch "Leo Strauss and the American Right" (1999), dass Strauss eine elitäre Strömung in US-Politikern hervorgebracht hat, die mit imperialistischem Militarismus, Neokonservatismus und christlichem Fundamentalismus verbunden ist. Drury argumentiert, dass Strauss lehrt, dass „die ständige Täuschung der Bürger durch die Machthaber von entscheidender Bedeutung ist, weil sie geführt werden müssen, und sie brauchen starke Herrscher, die ihnen sagen, was gut für sie ist“. Der US-Politikwissenschaftler Nicholas Xenos vertritt ebenfalls die Ansicht, dass Strauss „ein Antidemokrat in einem grundlegenden Sinne, ein wahrer Reaktionär“ war. Xenos sagt: „Strauss war jemand, der in eine frühere, vorliberale, vorbürgerliche Ära von Blut und Mut ("blood and guts"), von imperialer Herrschaft, von autoritärer Herrschaft, von reinem Faschismus zurückkehren wollte“.
„Most importantly, I no longer believe that freedom and democracy are compatible“ - Peter Thiel
Tech-Investor und Milliardär Peter Thiel, der sich selbst als Straussianer bezeichnet, gilt als wichtiger Akteur hinter dem rechts-libertären Ruck in den USA, wobei er sich selbst als politisch entfesselten Neoreaktionär (Contrarian) bezeichnet. Unter anderem werden Thiel Kontakte zur neoreaktionären Bewegung (NRx) und deren geistigem Vordenker Curtis Yarvin nachgesagt. Thiel investierte in dessen dezentralisierte Server-Computer-Plattform Urbit. Yarvin hatte sich auf seinem privaten Blog für die Abschaffung der Demokratie und ihre Ersetzung durch als private Aktiengesellschaften geführte absolutistische und quasi-monarchistische Regime ausgesprochen.
Thiel bekennt sich wie der US-Präsident Donald Trump zum Libertarismus – einer politischen Philosophie, die persönliche Freiheit über staatlichen Einfluss stellt –, jedoch lehnt Thiel gleichzeitig die Politik des freien Marktes ab, da freier Wettbewerb Profite senke. Er ist der Ansicht, Wettbewerb sei „eine Ideologie, […] die unsere Gesellschaft pervertiert und unser Denken zerstört“. Freiheit und Demokratie hält er für unvereinbar. Wettbewerb sei etwas für Verlierer, weshalb er Firmengründern im Silicon Valley rät, durch innovative Technologien Monopole aufzubauen, die er entgegen der klassischen Sichtweise als Fortschrittsmotoren propagiert. Dabei unterscheidet er zwischen „kreativen Monopolen“ und „illegalen Tyrannen oder Lieblingen der Regierung“, die keine Monopolrenten verdient hätten.
2016 war Peter Thiel Delegierter für den heute in der zweiten Amtszeit regierenden US-Präsidenten Donald Trump, bei der Republican National Convention. Für den Wahlkampf des konservativen Republikaners, soll er 1,25 Millionen US-Dollar gespendet haben. Nach dem Wahlsieg wurde Thiel zum Mitglied des Exekutivausschusses des Übergangsteams des neuen Präsidenten Trump ernannt (executive committee of the President-elect's transition team). Seit 2022 engagiert sich der in der Öffentlichkeit scheue Investor offen für die Agenda Donald Trump. Der heutige Vizepräsident der amtierenden US-Administration J. D. Vance, hat seine politische Karriere ebenfalls Peter Thiel zu verdanken.
Thiels philosophische Thesen wirken als intellektuelle Rückendeckung für Technologiekonzerne, die eine dominante, marktbeherrschende Stellung anstreben, indem sie Konkurrenten kaufen oder vernichten. Hierzu zählt auch die von ihm gelobte Praxis, Behörden gegenüber zu lügen, um sich deren Einfluss zu entziehen, da aus seiner Sicht „Firmen über Staaten“ stünden. Diese Gedankenwelt soll durch eine „Gleichschaltung der Köpfe“ im Silicon Valley etabliert werden. Unternehmen würden besser geführt als Regierungen, weil an ihrer Spitze ein alleiniger Entscheider mit quasi diktatorischer Vollmacht steht, der keiner demokratischen Legitimation bedarf. Wahlen und demokratische Partizipation überhaupt ist nach Thiels Philosophie kein erfolgversprechender Weg zur Steuerung einer freien Gesellschaft. Der studierte Philosoph hat seine Idee 2009 in einem Essay "The Strauss Momentum" festgehalten; lesenswert für Merz' Beraterstab, da Thiel am Diskurs mit der USA nicht beteiligt ist, er aber Macht auf die Entscheidungen des US-Präsidenten ausübt.
Darin erklärt Thiel, dass er „nicht mehr glaubt, dass Freiheit und Demokratie miteinander vereinbar sind“, was zum großen Teil darauf zurückzuführen sei, dass Sozialhilfeempfänger und Frauen im Allgemeinen „notorisch schwierige Wählergruppen für Libertäre“ seien, und dass er seine Bemühungen auf neue Technologien (nämlich Cyberspace, Weltraumkolonisation und Seasteading bzw. Besiedelung der Meere) konzentriere, die „einen neuen Raum für Freiheit“ jenseits der aktuellen Politik schaffen könnten. Curtis Yarvin und Nick Land, die wichtigsten Theoretiker der neoreaktionären Bewegung, haben sich in ihren Schriften auf diesen Aufsatz bezogen.
"a new space for freedom" - Peter Thiel, The Strauss Momentum, 2019
In einem Gespräch mit Tyler Cowen im Jahr 2015 behauptete der große Denker und Visionär Thiel, der als Strippenzieher hinter der libertären Trump-Politik gilt, dass innovative Durchbrüche in der Computer-/IT-Branche und nicht in der physischen Welt stattfänden. Er beklagte den mangelnden Fortschritt in der Raumfahrt, im Hochgeschwindigkeitsverkehr und bei medizinischen Geräten. Als Grund für diese Diskrepanz gab er an: „Ich würde sagen, dass wir in einer Welt leben, in der Bits nicht reguliert sind und Atome reguliert werden.“
Sozialdarwinismus und Wirtschaftsdarwinismus im politischen Realismus
Somit kommt die Bundesregierung nicht um den Wirtschaftsdarwinismus herum und den Schriften The Theory of Moral Sentiments (1759) und An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (1776) des Politökonomen Adam Smith. Der global weit verbreitete Begriff steht meist für die populärwissenschaftliche Vorstellung, dass es in einer Marktwirtschaft:
eine Art Überlebenskampf der Unternehmen gibt und
die am besten angepassten Unternehmen überleben sollten und es dabei natürlicherweise auch Verlierer geben muss (Adam Smiths unsichtbarer Hand in der Ökonomie).
Sein Hauptwerk, oft abgekürzt als "The Wealth of Nations", markiert den Beginn der modernen Wirtschaftswissenschaft als umfassendes System und akademische Disziplin. Smith lehnt es ab, die Verteilung von Reichtum und Macht mit dem göttlichen Willen zu erklären, und beruft sich stattdessen auf natürliche, politische, soziale, wirtschaftliche, rechtliche, ökologische und technologische Faktoren sowie auf die Wechselwirkungen zwischen ihnen. Das Werk ist bemerkenswert für seinen Beitrag zur Wirtschaftstheorie und im Besonderen für seine Darstellung des Konzepts des absoluten Vorteils (concept of absolute advantage) sowie einen auf den Export ausgerichteten, bei gleichzeitiger Reduzierung von Importen orientierten Wirtschaftstheorie des Merkantilismus, die sich an der Philosophie David Humes anlehnt und in seinem Werk zur sozio-ökonomischen Ethik "The Theory of Moral Sentiments" aus dem Jahre 1759 widerspiegelt.
100 Jahre später und bereits kurz nach Erscheinen von Darwins grundlegendem Werk von 1859 über die Mechanismen der Evolution, wurden die Konzepte biologischer Evolution auch auf die Gesellschaft (Soziologie) und Wirtschaft (Ökonomie) übertragen. Tiefere Prinzipien eines modernen, wissenschaftlichen Darwinismus, etwa die Kodierung von Unternehmens-Informationen in Genen, wurden in neuen darwinistisch-ökonomischen Theorien aber nur selten mitgedacht. Eine akademische Forschungsrichtung, die Wirtschaft im Sinne einer biologischen Evolution betrachten ist die Evolutionsökonomik (Evolutionary Economics).
Schumpeter, der Adam Smith als nicht tiefgründig genug kritisierte, beschrieb den ewigen Wettbewerb und die Idee der Selektion bereits Anfang des 19. Jhr. als einen wesentlichen Antriebsmotor wirtschaftlichen Fortschrittes (Schöpferische Zerstörung, 1911). Naturwissenschaftler, u. a. der Biologe Hans Hass betrachteten Unternehmen und biologische Individuen beide als Produkt evolutionärer Prozesse mit analog ausgebildeten Merkmalen. Analogien zwischen der Biologie und Ökonomie werden in den Wirtschaftswissenschaften seit den 1970er Jahren explizit angesprochen, wobei selten oder nie die genetischen Mechanismen der Biologie auf die Wirtschaft übertragen werden.
Schumpeter ist der Begründer des methodologischen Individualismus, ein Begriff, der ihm zufolge bei der Beschreibung und Erklärung sozialer Vorgänge (der Makroebene) im Handeln der einzelnen daran beteiligten Personen (der Mikroebene) ihre kausale Begründung findet. Als Folge „sind auch soziale Phänomene wie Institutionen, Normen, soziale Strukturen usw. […] über individuelles Handeln zu erklären“.
Eine Gegenthese bildet der methodologische Kollektivismus wie auch vermittelnde Ansätze der soziologischen Netzwerktheorie. Sie setzen sich kritisch von Schumpeters Individualismus ab, da sich der methodologische Individualismus den sozialwissenschaftlichen Analysemethoden entgegengesetzt, die „Aggregate“ wie soziale Klassen, Bevölkerungsgruppen oder Nationen als elementare Einheiten der Analyse nutzen. In den empirisch-analytisch arbeitenden Wissenschaften wird i. d. R. von einem Modell des rationalen, seine eigenen Interessen verfolgenden und seinen Nutzen maximierenden Menschen (homo oeconomicus) ausgegangen. Die Ausnahme bildet das gelegentlich auch in der modifizierten Variante genutzten Menschenmodell, der so genannte RREEMM. Mit der Benennung als methodologischer Individualismus wollte Schumpeter die strenge Abgrenzung vom philosophischen bzw. ontologischen Individualismus kennzeichnen, der Aussagen über den realen Menschen macht.
Bei Schumpeter geht es nicht um das „wahre Wesen des Menschen“. Seine anthropologischen Annahmen (conditio humana) sind rein analytisch (instrumentell) zu verstehen. Die Annahmen tragen zur Erklärung sozialer Phänomene bei, die – etwa aus Sicht des Kritischen Rationalismus – genutzt werden können, um empirisch falsifizierbare Hypothesen über diese Phänomene zu generieren. Wird zwischen einer starken und einer schwachen Version des methodologischen Individualismus unterschieden, ergeben sich für die Mesoebene Erkenntnis für die Politik und ihr Handeln (Handlungs- und Entscheidungstheorien):
Während die starke Version behauptet, alle sozialen Phänomene sollten durch Individuen und ihre Interaktionen erklärt werden,
misst die schwache Variante auch sozialen Institutionen (z. B. Behörden) und anderen gesellschaftlichen Strukturen (Organisationen) eine wichtige Rolle in sozialwissenschaftlichen Erklärungen zu (Mesoebene).
Unter einer Institution wird im Allgemeinen ein Ordnungs- und Regelsystem verstanden, das soziales Verhalten und Handeln von Individuen, Gruppen und Gemeinschaften in einer Weise formt, stabilisiert und lenkt, dass es im Ergebnis für andere Interaktionsteilnehmer erwartbar wird. Der Ökonom und Wirtschaftshistoriker Douglass North, beschreibt die heute am häufigsten verwendete Definition von Institutionen als:
die formellen wie informellen Spielregeln einer Gesellschaft beschreibt, die die Anreizstrukturen für das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Zusammenspiel festlegen.
Die Auswirkungen von Institutionen (Institution Building) bzw. deren Strukturen sind vielfältig und umfassend. In modernen Erklärungsmodellen wird dazu bspw. zum Wachstum und Erfolg von Gemeinwesen und Staaten auf die Wichtigkeit von langandauernden kontinuierlichen institutionellen Rahmenbedingungen wie Rechtssicherheit (geringe Korruptionsrate, effektive Gerichte, Vertrags- und Registersicherheit) oder öffentliche Sicherheit hingewiesen.
1966 legten die beiden Soziologen Peter L. Berger und Thomas Luckmann in ihrem Klassiker der Wissenssoziologie "Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit" eine einflussreiche, aber auch weiter gefasste Definition des Institutionsbegriffs vor, der Institutionen als "Sedimentierungen dynamischer sozialer Prozesse" erachtet:
„Institutionalisierung findet statt, sobald habitualisierte Handlungen durch Typen von Handelnden reziprok typisiert werden. Jede Typisierung, die auf diese Weise vorgenommen wird, ist eine Institution“.
Das schließt vorgegebene, typisierte Handlungssequenzen (wie Begrüßung und Vorstellung) ebenso ein wie zeremonielle Handlungsabläufe (wie Taufe und Beerdigung).
Die philosophische Anthropologie misst den Institutionen „eine geradezu fundamentale Bedeutung“ für das menschliche Handeln bei. Sie versteht Institutionen als Instinktersatz und Kompensation für die instinktreduzierte Ausstattung des Menschen (Arnold Gehlens: Unmensch und Spätkultur, 1986).
Durch Institutionen werden die „quasiautomatischen Gewohnheiten des Denkens, Fühlens, Wertens und Handelns“ habitualisiert und damit stabilisiert und gehen nach Gehlen aus dem „Denken und Handeln“ der Menschen untereinander hervor und „verselbständigen sich ihnen zu einer Macht, die ihre eigenen Gesetze bis in ihr Herz hinein geltend macht“.
Seit den 1970er Jahren werden im soziologischen wie im ökonomischen Neo-Institutionalismus (NIÖ: Neue Institutionenökonomik), in Abgrenzung zum klassischen Institutionalismus, neben den formalen Institutionen auch nicht-formale betrachtet, da sowohl die neoklassische Theorie als auch der Keynesianismus letztlich Institutionen vernachlässigten (auch bei Smith, Hume und Mill). Hierbei handelte es sich um eine Gegenbewegung zu herkömmlichen behaviouristischen Theorieansätzen und zur Theorie der rationalen Entscheidung, die als weitgehend „institutionenblind“ gelten. In der Soziologie werden auch kognitive Regeln des menschlichen Handelns als Institution angesehen.
Institutionen haben die Funktion das Handeln von Menschen zu leiten und die Willkür (den Kürwillen) des individuellen Handelns zu beschränken. Sie definieren somit den gemeinsamen Handlungsrahmen und mit ihm verbundene Verpflichtungen. Zu diesem Regelsatz bilden sich zugehörige Legitimierungsstrategien und Sanktionsmechanismen heraus. Damit üben Institutionen zudem eine entlastende Funktion aus, indem sie eine "kollektiv organisierte Bedürfnisbefriedigung" sicherstellen und den einzelnen von "elementaren Vollzügen" freisetzen. Andererseits schützen sie die Gesellschaft vor individuell willkürlichen Handlungen und überführen sie in gesellschaftlich wohlgeordnete Abläufe.
Natürlicher Herrschaftsanspruch: Kräftegleichgewicht zwischen Macht und Recht
Schon der Stratege und Historiker Thukydides lehrte uns wie eine zynische Politik bzw. Realpolitik das Gleichgewicht zwischen Macht „das Recht des Stärkeren“ und Recht „Stärke des Rechts“ verändert. Anhand des Peloponnesischen Bürgerkrieges zwischen Athen und Sparta (431- 404 v. Chr.) beschrieb Thukydides wie Realpolitiker das Naturrecht bzw. das „Recht des Stärkeren“ durchsetzen um einen neutralen Staat zu dominiert. Der Krieg endete mit der totalen Niederlage Athens, der damit das Goldene Zeitalter von Perikles beendete. Unter anderen Grausamkeiten, die damals erfolgten, ist dieses Ereignis bzw. Episode zwischen Athen und Melos von historischer Bedeutung und politischem Wert. [Buch V. Kap. 84-116]
Während des Krieges zwischen Athen und Sparta, hatte sich Melos auf sein Recht berufen und bevorzugt, neutral zu bleiben. Die Entscheidung der Melier zur Neutralität und dem Attischen Bund nicht beizutreten missfiel den Athenern. In den Gesprächen zwischen den beiden Parteien wurde von Anfang an jede Art von „Widerstand“ der Melier als Alternative von den Athenern ausgeschlossen, die inmitten der Verhandlungen mit unglaublichem Zynismus erklärten:
„Recht könne nur zwischen gleich Starken gelten, bei ungleichen Kräfteverhältnissen tue der Starke, was er könne, und erleide der Schwache, was er müsse […] Es sei des Menschen Natur, zu herrschen – und die Melier würden dasselbe tun, wenn sie die Macht hätten“.
Kurz nach der Ablehnung der Melier, sich freiwillig den Athenern zu unterwerfen, belagerten die Athener unverzüglich die Insel, verkauften die Frauen und Kinder der Melier in die Sklaverei und ermordeten alle erwachsenen Männer. Niedergegangen ist Athen in Sizilien, als sie dort ohne ihre Verbündeten, die sich von Perikles und dem Attischen Bund abwanden, eine vernichtende Niederlage erlitten haben.
Interessant ist hierzu das Buch des Politikwissenschaftlers Graham T. Allison, der darin, in Anlehnung an Thukydides, die Tendenz zum Krieg beschreibt, wenn eine aufstrebende Macht (wie damals Athen) den Status einer dominanten Macht (zu der Zeit Sparta) herausfordert. Xi Jinping und seine Regierungsleute müssen sich mit der Literatur beschäftigt haben, der chinesische Präsident hat den Begriff Allisons „Thykydides-Falle“ (Thykydides Trap) verwendet und gemeint ein Krieg zwischen China und USA müsse vermieden werden. 2017 hat Allison den Begriff erweitert und ist auf die Möglichkeit eines Kriegs zwischen den beiden Supermächten eingegangen. Allison sieht in seiner Studie auch UK und Frankreich gegen das wiedervereinigte Deutschland in der Thykydides-Falle, jedoch als Wettstreit ohne Tendenz zum Krieg.
Daraus stellen sich auch für den deutschen Kanzler Fragen auf, für die dringend Antworten gefunden werden müssen, wenn Deutschland im geopolitischen Spiel zusammen mit Europa nicht in die Bedeutungslosigkeit verschwinden will:
Was treibt Großmächte (wie damals Athen) bis zum Völkermord und zur totalen Vernichtung ihrer Gegner?
Stehen die imperialistische Unvernunft und der ungezügelte Herrschaftsanspruch in vollem Einklang mit der menschlichen Natur?
Hat sich die Politik im Laufe der Zeit, nach zweieinhalb Jahrtausenden, verändert?
Was bedeutet das mit Hinsicht auf die geopolitische Lage, wie ist das Kräfteverhältnis zwischen den USA, Russland, China und wo steht Europa?
Wenn Realpolitik herrscht, was sind Institutionen und was ist ein transatlantisches Bündnis noch wert?
Wenn Thukydides recht behalten soll und sich die Geschichte wiederholt, kann es Grönland wie Melos ergehen und ist das Schicksal der Ukraine längst besiegelt?
In Washington hat Merz die Position Deutschlands klargemacht, ohne dabei andere Supermächte oder ein Kräfteungleichgewicht anzusprechen. Andeutungen und Hypothesen zu einer Thykydides-Falle hätte Donald Trump ungern hören wollen. Allison hat nämlich in seinem 2017 erschienenen Buch Destined for War argumentiert, dass „China und die USA derzeit auf Kollisionskurs zum Krieg sind“. Dieser Gedanke scheint sich in den USA gerade durch die populistische Rhetorik Donald Trumps in der amerikanischen Gesellschaft manifestiert zu haben und zu einer konstruierten Realität geworden zu sein.
Im Gespräch hat der Kanzler, nach der Theorie der symbolischen Interaktion und der Bild-Theorie es vermieden, den US-Präsidenten durch sein bloßes Auftreten zu provozieren. Merz ging staatsmännisch gekleidet ins Weiße Haus, im blauen Anzug, Ton in Ton, ohne eine dominante Krawatte in gelber oder roter Farbe, wie es für Trump üblich ist. Dies hätte die US-Administration und die Presse symbolisch negativ deuten können. Er wählte den konservativen Stil, mit schwerem Stoff, weißem Hemd und Manschettenknöpfen. Friedrich Merz war damit in der klassischen Diplomaten-Uniform gekleidet (vgl. Kleiderregeln für Beamte des Auswärtigen Amts). Er hat es auch in der Ukrainefrage vermieden auf Kollisionskurs mit der US-Administration zu gehen und moralisch zu argumentieren. Merz hat sich mit seiner diplomatischen Zurückhaltung und Auftreten dem amerikanischen Präsidenten untergeordnet und sich in Namen Deutschlands und Europas demütig gezeigt. Genau das Gegenteil hat Selenskyj getan als er "unpassend" gekleidet an Donald Trump bzw. der USA Forderungen gestellt hat.
Im Sozialdarwinismus wie im Faschismus hat sich aus dem Naturrecht allerdings ein paradoxes „angestammtes Recht der besseren Leistung“ ergeben – ähnlich wie zuvor beim Gottesgnadentum die „von Gottes Gnaden erwirkte“ Legitimation der nicht anzutastenden Monarchenposition aufgefasst worden war. Trump sieht sich als Monarchen, das Amt des US-Präsidenten wird immer stärker. Seine Anhänger und Unterstützer sind gerade dabei die demokratischen Strukturen der Vereinigten Staaten per Dekret und gegen den Rechtsstaat zu Gunsten einer „Neuen Monarchie“ zu verändern.
Die Berufung auf überpositives Recht geht davon aus, dass bestimmte Rechtssätze unabhängig von der konkreten Ausgestaltung durch die Rechtsordnung „schlechthin“ Geltung beanspruchen und somit durch einen positiven Akt der Rechtsetzung weder geschaffen werden müssen noch außer Kraft gesetzt werden können.
Realismusfrage: Die skeptische Idee ist dem Wahrheitsbeweis nicht verpflichtet
Der philosophische Realismus bezieht sich auf die erkenntnistheoretische Frage, ob es eine vom Bewusstsein unabhängige Realität gibt. Er untersucht, ob und wie wir die Welt erkennen und ob unsere Vorstellungen und Wahrnehmungen der Realität entsprechen. Der politische Realismus hingegen ist eine Theorie der internationalen Beziehungen und der Politik. Sie geht davon aus, dass Staaten in erster Linie ihren eigenen Interessen folgen und Machtpolitik betreiben. Der politische Realismus Trumps argumentiert, dass moralische Erwägungen in der internationalen Politik eine geringere Rolle spielen als Macht und Interessen.
„Esse est percipi“
Bei der Realismusfrage ist die These von George Berkeley: „Esse est percipi“ (Sein ist Wahrgenommenwerden) berühmt. Denn erst durch die philosophische Reflexion wird die Wirklichkeit fraglich, also ob das Sein das menschliche Bewusstsein oder ob das Bewusstsein das Sein bestimmt (Primat des Objekts oder des Subjekts). Oftmals wird hierzu der Homo-Mensura-Satz des Protagoras zitiert:
Der Mensch ist das Maß aller Dinge, des Seienden, wie es ist, des Nicht-Seienden, wie es nicht ist.“
In beiden Zitaten steckt die Überlegung, ob die Realität überhaupt unabhängig vom menschlichen Denken existiert. Drei Aspekte werden dabei in der Realismus-Debatte untersucht:
die Existenz von Dingen,
deren Unabhängigkeit vom menschlichen Bewusstsein sowie
die Frage eines kausalen oder begrifflichen Zusammenhangs zwischen Realität und Wahrgenommenem.
Die praktische Bedeutung dieser Frage – auch in der Politik – liegt darin, dass es ohne die Annahme einer Realität nicht möglich ist, zweifelsfrei wahre Aussagen über Dinge oder Sachverhalte zu machen. Die Realität dient für den Realisten als notwendiger Maßstab dafür, ob Aussagen wahr oder falsch sind.
Wenn man wie Donald Trump die Erkennbarkeit der Realität überhaupt bestreitet, bleibt als alternative Weltsicht nur der Skeptizismus mit der Konsequenz des Relativismus. Die Wirklichkeit als „Wahrmacherin“ steht dem Skeptiker oder Relativisten nicht zur Verfügung. Die Klärung der Frage des Realismus ist daher Voraussetzung, um einen möglichen Begriff der Wahrheit zu bestimmen. So hat durch den Skeptizismus und Relativismus der US-Präsident mit der Unvorhersagbarkeit der Dinge zu kämpfen, wie seine Verhandlungs- und Bündnispartner mit seiner Ambiguität und Unvorhersagbarkeit zu kämpfen haben.
In der Systemtheorie ist das durch die Emergenz zu erklären: Wird ein neues Subsystem in ein bestehendes System integriert, also mit den anderen Systemelementen durch Wirkbeziehungen verknüpft, kann das System neue emergente Eigenschaften aufweisen, die nicht vorhersehbar waren. So definiert der Evolutionsbiologe Ernst Mayr:
„Emergenz ist in Systemen das Auftreten von Merkmalen auf höheren Organisationsebenen, die nicht aufgrund bekannter Komponenten niedrigerer Ebenen hätten vorhergesagt werden können.“
Gründe hierfür:
Das System ist bereits so komplex, dass es ohne Reduktion nicht untersuchbar oder simulierbar ist.
Es entstehen zwischen den Systemelementen neue Verbindungen, Wirkbeziehungen und Prozesse, die nicht implementiert (vorgeplant) waren.
Die Kopplungen oder Wirkbeziehungen zwischen allen Elementen werden durch die Integration des neuen Elementes verändert.
Der Skeptizismus ist nicht auf eine Aussage darüber festgelegt, ob es etwas Wahres gibt; Skeptizisten zu denen Donald Trump durchaus zählt, machen nur Aussagen über die verschiedenen Aspekte einer Sache, über die nachgedacht wird. Skeptiker stellen keine objektsprachlichen Behauptungen über wirkliche Sachverhalte auf, weil sie dafür einen Wahrheitsbeweis erbringen müssten. Sie stellen metasprachliche Behauptungen über Aussagen ihrer Gegner auf. Vertreter des deutschen Idealismus unterstellten den Skeptikern, dass sie eigentlich Dogmatiker seien. Fichte interpretierte die skeptische Idee, von den Sachen auszugehen und in der Folge, die Erkenntnis der Wahrheit auszuschließen, als "skeptisches Dogma".
Konstruktion des Weltsystems (reale Autopoiesis)
Der deutsche Bundeskanzler muss sich hinsichtlich der USA nicht mit allen Ansätzen der Realismusfrage auseinandersetzen, es reicht, wenn sich Friedrich Merz mit der klassischen Gegenposition zum erkenntnistheoretischen Realismus, dem erkenntnistheoretischen Idealismus beschäftigt. In dieser Denkhaltung wird angenommen, dass die Welt, wie sie dem Menschen erscheint, vorrangig und ursprünglich durch das menschliche Denken bestimmt ist.
Der Idealismus bestreitet ein Sein der Dinge ohne Tätigkeit des menschlichen Verstandes.
Das Denken der Dinge außer uns ist ein „bloßer Glaubensartikel“, es gibt somit ein Sein der Dinge ohne Tätigkeit des menschlichen Verstandes nicht. Erst der Verstand erzeugt aus Sinnesdaten wie u. a. Geräuschen oder Lichtwellen die Gegenstände unserer Erkenntnis. Es geht hierbei um die modernen Varianten des Idealismus, die sich in verschiedenen Ansätzen des Konstruktivismus finden. Auch der erkenntnistheoretische Idealismus legt normalerweise einen ontologischen Realismus zugrunde, nach Friedrich Wilhelm Joseph, dem Begründer des spekulativen Naturphilosophie:
„Wie die Naturwissenschaft den Idealismus aus dem Realismus hervorbringt, indem sie die Naturgesetze zu Gesetzen der Intelligenz vergeistigt, oder zum Materiellen das Formelle hinzufügt, so die Transzendental-Philosophie den Realismus aus dem Idealismus, dadurch, dass sie die Gesetze der Intelligenz zu Naturgesetzen materialisiert, oder zum Formellen das Materielle hinzubringt.“
Der Konstruktivismus geht in den meisten Auffassungen davon aus, dass ein erkannter Gegenstand vom Betrachter selbst durch den Vorgang des Erkennens konstruiert wird. Sie nehmen damit eine nominalistische Position zum Universalienproblem ein. Im Zentrum stehen jedoch nicht etwa ontologische WAS-Fragen, sondern epistemologische WIE-Fragen, d. h., es geht im Kern nicht um das Wesen der Dinge, sondern um den Prozess und die Entstehung ihrer Erkenntnis. Maßgeblich ist hierbei die Orientierung am Beobachter bzw. an der erkennenden Instanz und nicht an der beobachterunabhängigen Realität.
Da im Konstruktivismus der Beobachter nicht als unabhängig von der Erkenntnis angesehen werden kann, nimmt diese Denkrichtung Abschied von der Vorstellung einer absoluten Wahrheit und einer empirischen Objektivität. Zugleich nimmt sie Interesse an der Differenz und Pluralität möglicher bzw. wirksamer Wirklichkeitsauffassungen. Der Konstruktivismus denkt in Systemen und glaubt an die Selbstregelung, -steuerung bzw. -organisation der erkennenden Instanz, eines autonomen Beobachters (Autopoiesis).
In der Soziologie wird Autopoiesis verwendet, um die Selbstorganisation sozialer Systeme zu beschreiben, wie z. B. Organisationen oder Gesellschaften. Auch wenn der Bioneurologe Humberto Maturana, einer der Mitbegründer des radikalen Konstruktivismus, die Übertragung der Autopoiesis auf soziale Systeme kritisiert, ist sie für politische Systeme einer globalisierten Welt geeignet Prozessen und Strukturen, die von innen heraus entstehen und sich selbst organisieren zu analysieren, gerade weil diese (als zu) stark von äußeren Einflüssen abhängig sind. Maturanas Theorien beeinflussten unter anderem den Kybernetiker Heinz von Foerster und die Systemtheorie von Niklas Luhmann, der den Begriff Autopoiesis von Maturana und Varela übernahm.
Wirtschaftspolitische Systeme erzeugen aktiv ihre eigenen Elemente und Regeln und sind zwar in gewissem Maße operationell geschlossen, aber nicht isoliert von ihrer Umwelt. Ein autopoietisches System müsste also, soweit es eine Veränderung seiner Struktur für notwendig hält, um seine Organisation (Überleben) aufrechtzuerhalten und keine eigene Lösung für ein Problem aus sich heraus konstruieren kann, mit der Umwelt (u. a. auch anderen autopoietischen Systemen) interagieren. Das beinhaltet auch die bedingte Notwendigkeit der „Anpassung" eines autopoietischen Systems an seine Umwelt.
Zwischen zwei menschlichen Systemen, wie den beiden Politikern Merz und Trump bedeutet dies: Zwei oder mehrere autopoietische Systeme sind in der Lage durch eine Wechselbeziehung (gegenseitiger Irritationen) Strukturveränderungen auszulösen. Jedoch können sie diese nicht determinieren, denn jedes System verändert sich nur gemäß seiner eigenen inneren Struktur. Dennoch können autopoietische Systeme, über eine gemeinsame Interaktion, soziale Wirklichkeit schaffen. Dies erfolgt durch die strukturelle Koppelung. Dies gilt insb. für zwei Individuen, da das Ziel eines autopoietisches Systems ist, seine Existenz aufrechtzuerhalten.
Menschliche autopoietische System, wie die beiden Leader starker Volkswirtschaften Donald Trump und Friedrich Merz können ihre verschiedenen Wirklichkeiten (die sich aufgrund ähnlicher politischer und wirtschaftlicher Teil-Systeme etc.), ihre Erfahrungen und Kenntnisse in diesem Interaktionsprozess (in Form einer Irritation) weitergeben. Jedes System für sich entscheidet, wie mit diesen Irritationen umgegangen wird, doch beide am Interaktionsprozess beteiligten Systeme können ihre konstruktivistischen Landkarten (Ausschnitt ihrer Wirklichkeit von der Welt) erweitern oder ihre Struktur verändern. (Zimmermann, 2006, S.74-75).
Interagieren nun Trump und Merz als autopoietische Systeme miteinander und koppeln ihre Wirklichkeiten, könnte nicht nur für deren Systeme eine individuelle neue Wirklichkeit entstehen, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Systems (überleben) erforderlich ist oder als erfolgreich bewertet wird, sondern auch eine gemeinsame neue soziale Wirklichkeit (Weltsystem, Handelssystem, Verteidigungssystem etc.). Da die Interaktion oftmals kommunikativen Charakter hat und somit auch die soziale Wirklichkeit Produkt dieser sein könnte, lohnt sich für Kanzler und seine Berater ein kleiner Abstecher in den Sozialen Konstruktivismus (welcher sich an den allgemeinen Konstruktivismus anschließt) und seiner Auffassung von sozialer Wirklichkeit:
Wirklichkeit und die damit verbundenen Wahrheitsbehauptungen sind stets sozial eingebunden und demnach ein Konstrukt, das sozial hergestellt wird. "Wahrheit" und "Wirklichkeit" sind somit das Konstrukt einer Gruppe von Menschen, die in ihrer Ansicht über eine bestimmte Wahrheit oder Wirklichkeit übereinstimmen. (Feldmann,1995, S. ll)
Soziale Wirklichkeit würde demnach durch die Interaktion zwischen Trump und Merz wechselseitig durch Kommunikation erzeugt und konstruiert werden. Basis für eine Kommunikation zwischen autopoietischen Systemen wären nach dem Sozialwissenschaftler Peter M. Hejl gemeinsam konstruierte soziale Bereiche. Hejl geht davon aus, dass autopoietische Systeme sich vorerst eine eigene einseitige Wirklichkeit in Bezug auf ihre Umwelt konstruieren. Doch es kann dazu kommen, dass diese eigene Wirklichkeitskonstruktion nicht ausreicht, um das Umweltverhalten vorherzusagen. Es wird für das System Donald Trump nötig, sich in Interaktion mit der Umwelt, also anderen autopoietischen Systemen wie Friedrich Merz, zu begeben und eine strukturelle Koppelung vorzunehmen. Diese führt zur „Parallelisierung" der selbstreferentiellen Systeme und somit zu einer gemeinsamen Konstruktion von Wirklichkeit.
Für Merz bedeutet dies in der Interaktion mit Trump, durch Irritation einen gemeinsamen sozialen Bereich zu erschaffen (konstruieren), in welchem die beiden oder mehrere autopoietische Systeme interagieren bzw. kommunizieren (und sich neu konstruieren) können. Der gemeinsame, konstruierte, soziale Bereich hat einen entscheidenden Vorteil. Weil lebende Systeme immer entsprechend ihrer inneren Struktur wahrnehmen und diese innere Struktur nun durch die gemeinsame konstruierte Wirklichkeit teilweise parallelisiert wurde, interpretieren alle Systeme (Menschen) Vorkommnisse, Handlungen und Ereignisse innerhalb der gemeinsamen Wirklichkeit auf parallele Weise. Durch ein so z. B. gemeinsam konstruiertes Symbolsystem können nun Handlungen ersetzt werden, es entsteht Kommunikation. Ebenfalls könnten Menschen (Systeme) in gemeinsamen sozialen Bereichen ihr Handeln auf ähnliche Weise interpretieren.
Konstruierte kognitive Prozesse symbolischer Interaktion
Die diplomatische Zurückhaltung des Bundeskanzlers in Washington während seiner Besuchs im Weißen Haus, also zu Beginn der Konstruktion eines gemeinsamen sozialen Bereichs, war absolut angebracht und strategisch eine richtige Entscheidung seines Berater Teams. Trotz der gemeinsamen Konstruktion von Bedeutung der gemeinsamen Symbole und ihrer somit auch ähnlichen Interpretation dieser, bleiben einzelne System immer noch in sich geschlossen. Ein egozentrischer Trump lässt sich durch Kommunikation von außen (auch von innen durch seine Administration) nicht unbedingt beeinflussen und würde unabhängig der Symbolik immer und selbst entscheiden, inwieweit er sich davon beeinflussen ließe.
Sprache ist ein äußerst komplexer Prozess. Insofern hat sich Merz‘ Beraterstab im Sinne der Autopoiesis und emergenter Systeme, neben dem WAS gut überlegt WIE der Kanzler etwas sagen soll, hinsichtlich des konstruktivistischen Prozesses und ihrer Verbindung zur Wahrnehmung eines autopoietischen Systems (Trump). Bei der gemeinsam zu konstruierenden Symbolsprache, stellen sich drei wichtige Fragen für den Kanzler:
Was ist eigentlich Sprache, wie funktioniert sie, wie ist sie strukturiert?
Wichtig hierbei ist die wissenschaftliche Erkenntnis der Hirnforschung (Neurobiologie) und der Kognitionswissenschaften: Gemeinhin wird angenommen, dass der Sprecher festlegt, was ein Satz bedeutet, und der Hörer verstehen muss, was gesagt wurde. Dies ist ein fundamentaler Irrtum. Der Hörer ist es, der die Laute, die eine andere Person herausbringt, interpretiert und ihnen seinen Sinn verleiht (von Förster/Pörsken, 1999, S. 100).
Im Kognitivismus, der auf dem Behaviorismus aufbaut, geht es darum zu verstehen, wie Menschen Informationen aufnehmen, verarbeiten, speichern und abrufen. Dabei wird häufig die Maschinen-Metapher verwendet: Der Mensch wird als biologische „Informationsverarbeitungsmaschine“ betrachtet. Ziel des Kognitivismus ist es, wichtige kognitive Prozesse wie bspw. Wahrnehmung und Aufmerksamkeit, die Problemlösung und Entscheidungsfindung sowie die Sprache zu erforschen und daraus Rückschlüsse auf menschliches Verhalten zu ziehen. Das am Behaviorismus häufig kritisierte Reiz-Reaktions-Schema menschlichen Verhaltens, das zu stark vereinfacht ist, hat der Kognitivismus durch die Untersuchung der kognitiven Prozesse ausgeglichen.
Wichtiger als die Lern-Modelle (Informationsverarbeitung) des Kognitivismus sind jedoch die Erkenntnisse der Kognitionspsychologie bzw. die Kognitive Dissonanz. Kognitionen sind mentale Ereignisse, die mit einer Bewertung verbunden sind. Zwischen diesen Kognitionen können Konflikte (Dissonanzen) entstehen. In einem Gespräch, wie eben zwischen Merz und Trump kann es bei beiden zu unvereinbaren Kognitionen (z. B. Gedanken, Meinungen, Einstellungen, Bedürfnisse, Vermutungen oder Absichten usw.) kommen. Diese einzelnen Wahrnehmungen und Informationen bzw. Kognitionen subsumierte 1978 der Sozialpsychologe Leon Festinger unter der Kategorie kognitive Elemente.
Diese sind die Grundbausteine, aus denen sich die Gedächtnisinhalte des Menschen zusammensetzen. Wenn zwei kognitive Elemente zueinander im Widerspruch stehen, sodass das eine in gewisser Hinsicht das Gegenteil des anderen ausdrückt, entsteht Dissonanz. Ein konsonanter Zustand besteht hingegen, wenn keine Gegensätze vorliegen. Widersprüchlichkeiten bzw. dissonante Zustände erzeugen bei Menschen ein unangenehmes Gefühl und innere Spannungen, die nach Überwindung drängen. Bei zu starker Irritation durch bestimmte Aussagen von Merz oder nicht-konsonanter Botschaften durch symbolische Interaktion könnte Trump dazu drängen nach Übereinstimmung innerhalb seines Denkgefüges sowie zwischen seinem Denken und Handeln führen.
Wenn sich ein Mensch durch den inneren Konflikt, der durch die kognitive Dissonanz hervorgerufen wird in einem Ungleichgewicht befindet, ist dieser bestrebt wieder einen konsistenten Zustand (Gleichgewicht) zu erreichen. Ein Ungleichgewicht entsteht demnach dann, wenn der Mensch anders handelt, als er denkt, oder wenn er zwei grundsätzlich verschiedene Meinungen vertritt. Ein durch den Kanzler hervorgebrachtes Ungleichgewicht bzw. eine kognitive Dissonanz kann bei Trump u. a. auftreten, wenn dieser:
eine Entscheidung getroffen hat, obwohl die Alternativen ebenfalls attraktiv waren;
eine Entscheidung getroffen hat, die sich anschließend als Fehlentscheidung erweist;
erkennt, dass eine begonnene Sache anstrengender oder unangenehmer wird als erwartet (Erwartungshaltung);
große Anstrengungen auf sich genommen hat, nur um dann festzustellen, dass das Ergebnis den Erwartungen nicht gerecht wird;
sich konträr zu seinen Überzeugungen verhält, ohne dass es dafür eine externe Rechtfertigung (Nutzen/Belohnung oder Kosten/Bestrafung) gibt.
Ist die Dissonanz für eine Person wie Donald Trump stark genug, kann ihre Bekämpfung eine dauerhafte Änderung von Einstellungen und Verhaltensweisen (Handeln) herbeiführen. Starke Dissonanz entsteht insb. bei einer Gefährdung des stabilen, positiven Selbstkonzepts, wenn also jemand Informationen bekommt, die ihn als dumm, unmoralisch oder irrational dastehen lassen. Das hat Friedrich Merz größtmöglich vermieden.
Eine Dissonanz würde den US-Präsidenten dazu motiviert, die entsprechenden Kognitionen miteinander vereinbar zu machen, wobei unterschiedliche Strategien benutzt werden, wie bspw. Verhaltensänderungen oder Einstellungsänderungen. In der äußersten Form, falls nötig, werden die eigenen Überzeugungen und Werte geändert (Annahmen und Glaubenssätze, Normen und Prinzipien), was über temporäre Rationalisierungen weit hinausgeht. Also einem Rationalisierungs-Vorgang, bei dem für ein Verhalten verstandesmäßige Gründe angeführt werden, während andere unvernünftige Gründe für das Verhalten verborgen bleiben. Dies geschieht nicht nur gegenüber Dritten, sondern vor allem auch im Sinne einer „inneren Ausrede.“
Wie alle Abwehrmechanismen findet sich Rationalisierung auch in interpersonalen und institutionellen Abwehrformationen und übernimmt dort einerseits vital wichtige Funktionen für die Sicherung der Institution als Ganzes, birgt aber zugleich die Gefahr der Verhärtung und nicht mehr funktionalen Verfestigung einer Institution. (Mentzos: Interpersonale und institutionalisierte Abwehr, 1988)
Die Entwicklungspsychologie beschreibt Rationalisierungen als Teil von gesellschaftlichen Ideologisierungen die neurotische Philosophien begünstigen können, mit Formen einer neurotischen Religiosität. Beispielsweise könne das aus neurotischer Zwanghaftigkeit (Neurose) entstehende Vermeiden von bösen Taten mit der religiösen Idee eines belohnenden Gottes verbunden werden oder subjektives Empfinden mithilfe einer philosophischen Begründung als Wahrheit verkündet werden, die am Beispiel eines politischen Führers, als Legitimation für politisches Handeln begründet werden können.
Als Merkmal solcher Rationalisierungen im politischen Umfeld, die im Grund schwer abgrenzbar sind, sind die fehlende Beobachtung der Wirklichkeit, übertriebene Macht- und Geltungsansprüche sowie die Neigung zur ästhetischen Stilisierung und zur Weltfremdheit zu nennen. Studien zeigten, dass Menschen politische und andere wichtige Entscheidungen rationalisieren und in einem positiveren Licht sehen, sobald sie in Kraft getreten sind. Sogar ein erwarteter Status quo wird rationalisiert, indem dessen Vorteile hervorgehoben und die Nachteile minimiert werden. (Kl. Laurin: Inaugurating Rationalization: Three Field Studies Find Increased Rationalization When Anticipated Realities Become Current. Universität British Columbia; Psychological Science, 2018).
Nach Habermas Auffassung ist was auf der kollektiven Ebene des Handelns als Ideologie zu bezeichnen ist, einzelpsychologisch als Rationalisierung zu erfassen. Am Beispiel der Rassenideologie im Nationalsozialismus werden die emotionalen Bedürfnisse der Ausgrenzung und Vernichtung Unliebsamer abgewehrt.
Kommunikation ist kein objektiver Informationsaustausch.
Die Ergebnisse der Psychologie und Neurobiologie sprechen für die konstruktivistische Auffassung von Kommunikation und Wahrnehmung. Die Erkenntnisse der konstruktivistischen und biologischen Debatten lassen die gängigen Kommunikationsmodelle (Sender : Empfänger) anzweifeln, da das Sender-Empfänger-Modell den an der Kommunikation Beteiligten eine jeweils aktive und passive Rolle zuschreibt, da sie von einer klaren Information ausgeht, die versendet wird. Aus konstruktivistischer Sicht wäre es erst der aktive Empfänger, der durch seine Konstruktion die Signale zu seiner Wirklichkeit werden lässt. (Simon, 2008 S.57-58)
Kommunikation kann aus konstruktivistischer Sicht nicht als objektiver Informationsaustausch gesehen werden. Schicken sich zwei geschlossene Systeme gegenseitig Signale hin und her und interpretieren diese gemäß ihrer eigen inneren Struktur, haben beide kein objektives Verständnis davon, was das eine autopoietische System dem anderen autopoietischen System mitteilen will. Es handelt sich nach dem Konstruktivismus demnach um jeweils eigene Konstruktionen. Es ist immer eine subjektive Interpretation der Signale, eine Interpretation, die sich auf subjektive Erfahrungen stützt, auf subjektive Verarbeitungsprozesse, selbst wenn innerhalb eines gemeinsamen sozialen Bereiches kommunizieren wird. Das gemeinsame Symbolsystem der autopoietischen Systeme ist ebenfalls ein gemeinsames Konstrukt und hat gemeinsam erzeugte Bedeutungen. (Hejl, 2008, 124-126).
wechselseitige Irritation von internen, subjektiven Wirklichkeitskonstruktionen interagierender Systeme.
Der Konstruktivismus gibt Auskunft darüber, auf welcher Basis Kommunikation stattfindet und welche Intention hinter ihr stehen könnte. Er erklärt, wie es zu Missverständnissen in der Interaktion von Mensch und Umwelt kommen könnte, und rückt in den Vordergrund, dass es sich bei Kommunikation um eine wechselseitige Irritation von internen, subjektiven Wirklichkeits-konstruktionen interagierender Systeme handelt und so Kommunikation nicht wie allgemein angenommen ein in ein umweltoffenes System eindringender Informationsaustausch ist (Hejl, 2008, S. 124126).
Der Mensch ist aus der Sicht des Konstruktivismus auf Kommunikation angewiesen, um als System zu überleben. Er rückt damit die Bedeutung der Kommunikation für die Entwicklung und das Leben der Menschen in den Vordergrund, ebenso für sozialisations- und kommunikationstheoretische Überlegungen (Simon, 2008, S.78-79). Demnach sind das menschliche Wissen, die Erkenntnisse und die Erfahrungen über die Welt subjektiv konstruiert und haben keinen Anspruch auf Objektivität. Der Konstruktivismus betont damit die Rolle des Subjekts bei der Wissensbildung und die Bedeutung von Kontext und Erfahrung für die Konstruktion von Realität.
Soziale Verhältnisse sind rekursive Verhältnisse.
Lebenswelten von Menschen sind nach konstruktivistischer Auffassung hochgradig individuell und von der Umwelt undurchschaubar. Da die eigenen Wirklichkeiten aufgrund der inneren Struktur des Systems konstruiert werden, trifft der Konstruktivismus auch Aussagen über die Autonomie von lebenden Systemen. Die Umwelt kann nicht direkt auf sie einwirken; es liegt im Ermessen des Systems, was es mit diesen Einflüssen anfängt (Zimmermann, 2006 S. 73). Die Verantwortlichkeit menschlichen Verhaltens ist letztlich individuell geprägt. Der Konstruktivismus unterstreicht somit auch den freien Willen eines Jeden. Jeder Mensch ist demnach größtenteils selbst verantwortlich für sein Verhalten, er würde nicht von der Umwelt geschaffen werden, er würde sich in Verbindung mit der Umwelt selbst erschaffen. Im Ergebnis liefert der Konstruktivismus einen Erkenntniswert zirkulärer und paradoxer Denkfiguren im Zusammenhang mit dem Phänomen der Rekursion.
Soziale Verhältnisse sind somit rekursive Verhältnisse (Giddens 1988; Platt 1989; von Foerster 1993; Luhmann 1997; Baecker 2000; Scheff 2005). Das heißt, sie sind bestimmt durch Vor- und Rückgriffe auf Personen, Ereignisse, Relationen und Dinge, die selbst wiederum nur Produkte solcher Vor- und Rückgriffe sind.
Jegliche Markierung von Anfängen und Enden, die uns alltäglich so leicht von der Hand geht, findet insofern stets in rekursiven Verhältnissen statt. Solche Markierungen betreffen genauso
Ursachen und Wirkungen,
Werten und Tatsachen,
Zwecken und Mitteln,
Bedingungen und Resultaten oder auch
Handlungen, Intentionen und die von Motiven.
Markierungen sind ein alltägliches Phänomen und zentrale Schemata, mit denen soziale wie individuelle Beobachter ihre Welt sortieren und mithin teilen können. Und doch sind sie nur möglich in einer Welt, die immer schon begonnen hat und die als eine durch und durch historische Welt (Historismus) nur radikal gegenwärtig verfügbar ist. (Karafillidis: Erklärungen in rekursiven Verhältnissen, 2013)
Kausalität, Rationalität und Intentionalität sind so gesehen Formen der Interpunktion einer ihnen zu Grunde liegenden operativen Rekursivität. Deshalb ist es erstaunlich, dass die Soziologie die meisten ihrer Erklärungsprogramme von diesen empirisch gängigen Markierungen, insb. von Kausalität, abhängig gemacht hat.
Rollenübernahme und Intersubjektivität im „Game“
Im „Game“ der Nachkriegszeit, hatte Deutschland verschiedene Rollen in einer systematischen Ordnung wahrgenommen und gelernt sich darauf zu beziehen. Dies bedeutet in der Entwicklung, dass die Bundesrepublik die Haltung aller am Spiel beteiligten Parteien übernehmen und diese Rollen in Beziehung zueinander setzen muss. Hier gibt es unzählige Beispiel seit Mai 1949, drei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges als die von den Nazis befreite und völlig zerstörte BRD gegründet wurde und während des Kalten Krieges schließlich zu einer Wirtschaftsmacht aufgestiegen ist. In der europäischen Wirtschaft gilt Deutschland mit Frankreich u. a. seit Jahrzehnten als Wirtschaftsmotor der Europäischen Union.
Bei dieser Stufe ist der Bezugspunkt der Perspektivenübernahme die begrenzte Gemeinschaft, in der Deutschland sich befindet. Dabei handelt Deutschland unter Berücksichtigung der gemeinschaftsspezifischen Normen (Spielregeln).
Am Beispiel des geostrategischen Spielballs bedeutet das: Bevor ein Land einen bestimmten Wurf macht, muss es, um ein erfolgreiches Spiel zu leisten, wissen, wie die anderen Teilnehmer auf seine Handlung reagieren werden. Dies wird erst möglich, wenn es sich in die verschiedenen Rollen (z. B. des Fängers und des Werfers) hineinversetzt. Die Reaktionen der anderen müssen so organisiert sein, dass die Haltung des einen Spielers die Haltung des anderen auslöst. Wie an anderer Stelle (hier) bereits beschrieben, ist die Zollpolitik für die USA ein Instrument, um die Loyalität seiner Verbündeten zu prüfen.
Handeln nach dem Universalisierungsprinzip
Bei der Stufe der universellen Kooperation und Verständigung ist der Bezugspunkt der Perspektivenübernahme, die universelle menschliche Gesellschaft (universeller Anderer), sozusagen eine Weltgesellschaft. Das Handeln soll dabei nach einem Universalisierungsprinzip ablaufen. Dafür müssen gemeinsame Normen und Symbole geschaffen werden, damit ein Zusammenhang zwischen verschiedenen Gesellschaften entsteht.
Dafür eignen sich Dialog-Methoden, die auf der Idee der Diskursethik von Habermas und Apel basieren, dass moralische Normen durch einen rationalen und offenen Dialog aller Betroffenen legitimiert werden sollen. In diesem Dialog bzw. einem nach Regeln mit vernünftigen Argumenten geführten Diskurs, soll die Richtigkeit ethischer Aussagen (präskriptiver Sätze) gewonnen werden, die in einem intersubjektiven Prozess zustande kommen. Dabei bilden kommunikative Interaktionen, in denen rationale Geltungsgründe erhoben und anerkannt werden, die Grundlage für die Handlungskoordinierung vergesellschafteter Individuen, deren Handlungsräume durch den Dualismus von System und Lebenswelt bestimmt werden.
Bei der Diskursethik handelt es sich nicht um eine Individualethik. Habermas und Apel geht es bei ihrem Diskurs-Ansatz in Bezug auf das Universalisierungs-prinzip, keinesfalls darum für jeden Diskurs einen Konsens als Ergebnis garantiert zu wissen. Vielmehr geht es bestenfalls darum, die Bedingungen für die grundsätzliche Herstellbarkeit von Konsensen aufzuzeigen. Ob dies im konkreten Fall gelingt, muss sich im Gespräch (Dialog) selbst entscheiden. Der Konsensbegriff ist immer verknüpft mit der Vorstellung einer Annäherung an die ideale Kommunikationsgemeinschaft, die so als "kritischer Maßstab" dient und beinhaltet damit eine kognitivistische Metaethik, weil die Gemeinschaft der am Diskurs Beteiligten im idealen Fall feststellen kann, was richtig ist. Bei der Diskursethik wird daher nie davon ausgegangen, dass ein einmal erzielter Konsens unbedingte Gültigkeit beanspruchen könne. Vielmehr bleiben Konsense "als Ergebnisse realer Diskurse, egal, wie nahe deren Organisationsform den idealen Bedingungen kommt, prinzipiell fallibel". (Gottschalk-Mazouz, 2000:26)
In der Aufgabe des Diskursziels, nämlich einen „Konsens“ zu finden, stellt gerade in einem interkulturellen Zusammenhang die größte Herausforderung für die Anwendbarkeit ihres Ansatzes dar. Insbesondere die neuen, durch die Globalisierung bedingten Handlungsnotwendigkeiten machen es erforderlich, einen Moraldiskurs zu beginnen, um in bestimmten Fragen der Moral zu einer Einigung zu gelangen - sei es auch nur in Bezug auf die Frage, mit welchem Dissens die am Diskurs oder Dialog beteiligten Parteien leben können und wollen. Sie ist damit auch als Mittel zur Lösung von über einen Einzelnen hinausgehenden Problemstellungen geeignet, also bspw. in der Politik und der globalen Ökonomie.
Dennoch weißt die Diskursethik als das bekannteste und am meisten angewendete Modell, Mängel an "verstehensfördernden Elementen" auf (Seyla Benhabib). Um Menschheitsprobleme zu bewältigen ist eine gewisse Verständigung über partikulare Anschauungen herbeizuführen. Damit ist die Förderung des wechselseitigen Verstehens der unterschiedlichen moralischen Vorannahmen gemeint, als ein dem Konsens im Diskursprozess vorgelagertes, erstes Ziel der Diskursethik, welches für die darauf folgende Konsensfindung notwendig ist.
Da es darüber hinaus gerade in der Politik auch darum gehen muss, zumindest einen Minimalkonsens zu erreichen, ist es für das Kanzleramt hilfreich, sich - neben der gebotenen Sensibilität für das Partikulare - wie erwähnt mit der Suche nach bereits bestehenden Gemeinsamkeiten zu beschäftigen, an die sich eventuell anknüpfen lässt. Insofern ist die Beschäftigung des Beraterstabs mit solchen Übereinstimmungen zwischen Deutschland und der USA - und gleichzeitig die aktive Auseinandersetzung mit der Tatsache, dass sich aufgrund sozialer, kultureller, religiöser und historischer Umstände trotz dieser Gemeinsamkeiten ganz unterschiedliche Sicht-, Denk- und Verhaltensweisen entwickelt haben - Ziele eines Diskurses bzw. des "Dialogs".
Eine Lüge kann nur glücken, wenn der Belogene annimmt, der Lügende würde das, was er sagt, für wahr, richtig oder authentisch halten.
Auf Sicht Europas zählt für die USA unter der Führung Trump u.a. das Commitment zum Transatlantischen Bündnis (NATO) als ein Prinzip des Zusammenhangs. Ein weiterer Punkt ist die Erwartung des US-Präsidenten, in den USA vermehrt zu investieren, bzw. Produktionen deutscher Güter nach Amerika zu verlagern. Im organisierten Spiel (Wettkampf) muss nun Deutschland den Übergang von der spielerischen Übernahme der Rolle anderer zur organisierten Rollenübernahme mehrerer anderer beweisen, was die USA von der BRD in Bezug zu Europa innerhalb der NATO erwartet, nämlich die Übernahme einer Führungsrolle in der Sicherheitspolitik des europäischen Kontinents. Zudem soll Deutschlands Kernindustrie (Automotive etc.) und führende Technologie- und Rüstungsunternehmen ihre Produkte in den USA entwickeln und fertigen. Die Haltung der Bundesregierung dazu ist für das Identitätsbewusstsein Deutschlands nach innen und außen entscheidend.
Deutschland hat das Potential die Führung in Europa zu übernehmen und Europa soll sich laut den USA um ihre Probleme zukünftig selbst kümmern, heißt es von Donald Trump und seiner Administration seit Amtsantritt. An der Haltung wird sich auch nach einem Machtwechsel nichts ändern, die USA steht im Wettbewerb mit China zukünftig vor neuen Herausforderungen. Die Vereinigten Staaten werden ihre militärische Präsenz in Europa weiter verringern. Um die US-Wirtschaft zu stärken erwartet Trump von seinen loyalen Verbündeten im Rahmen des Mar-a-Lago Accords zu kooperieren und dabei zu helfen die USA zu reindustrialisieren und die Leitwährung zu stabilisieren. Die Gründe auf deren die normativen Geltungsansprüche der USA basieren, bzw. die die Erwartungshaltung der US-Administration erklären, wurden von der amerikanischen Regierung in zwei zentralen Punkten hinlänglich genannt:
die Kosten für die europäische Verteidigung und Sicherheit und
die Handelsdefizite bzw. -überschüsse zu den einzelnen Ländern.
Russland und den Ukraine-Konflikt sieht die USA, wie oben erwähnt, als ein europäisches Problem und vielmehr ist der Konflikt in Euroasien für die USA geoökonomisch relevant, um darüber die Aufrüstung in Europa durch amerikanische Fähigkeiten zu beschleunigen. Im globalen System zumindest braucht die USA weiterhin Europa als einen verteidigungsfähigen und -willigen Verbündeten so wie China als strategischen Verbündeten Russland für seine globalen Projekte benötigt (z. B. für die Belt and Road Initiative).
Identität entwickelt sich immer in Wechselwirkung und Zusammenarbeit mit der Gesellschaft bzw. Gemeinschaft. Die gegenseitigen Richtigkeitsansprüche gilt es deshalb in einem geregelten Diskurs auszuloten, bei der die Gemeinschaft der am Diskurs Beteiligten im idealen Fall durch eine kognitivistische Metaethik feststellen kann, was richtig ist, durch ein begründetes, von den inhaltlichen Fragen des moralischen Diskurses unabhängiges, ihnen vorgelagertes und damit rein formales Fundament für ein universalisierbares Ethikkonzept (als radikalste philosophische Begründungsvariante nach Apel: eine transzendental-pragmatische Letztbegründung durch Rückgriff auf die Präsuppositionen argumentativer Praxis).
Unkritische Übereinkunft und moralische Motivation: Politik der Rettung
Die Diskursethik ist ein neo-pragmatischer Ansatz der verhindern könnte, dass sich Donald Trump bei der "Begründungsfrage" nicht philosophisch einem Konsens nähert bzw. eine Entscheidung zum Handeln trifft, sondern vor dem Hintergrund ganz anderer, theologischer Vorüberlegungen aus. Diese gründen in dem Vertrauen auf die Sicherheit, die der eigene Glaube an die höchste Moral stiftende Instanz "Gott" darstellt. Der Theologe Hans Küng (Projekt Weltethos, 1990) formuliert sie stichwortartig mit: "Warum moralisch sein?", "Warum nicht das Böse tun?" und "Warum das Gute tun?"
Merz sollte deshalb auch von der Frage nach der moralischen Motivation Trumps oder der einem bestimmten moralischen Verhalten zugrundeliegenden transzendenten Autorität ausgehen. Zumindest muss Merz einen möglichen Ausweg der USA über die "Nichtbegründbarkeit" als Totschlagargument berücksichtigen.
Warum soll der Mensch - als Individuum, als Gruppe, Nation, Religion verstanden - sich menschlich, wahrhaft menschlich, also human benehmen? Und warum soll er dies unbedingt, das heißt: in jedem Fall tun? Und warum sollen dies alle tun und keine Schicht, Clique oder Gruppe ausgenommen sein? - Hans Küng 1990:48
Walzer als politischer Sozial- und Moralphilosoph, der sich nachdrücklich für einen neuen pluralistischen Gleichheitsbegriff einsetzt (Pluralismus), konnte bei der Untersuchung historischer Schlachten paradoxe Beweisführungen feststellen. Er ist der Meinung, die Ethik der Kriegsführung, die ein engmaschiges Netz moralischer Vorschriften beschreibt, um Kampfhandlungen restriktiv zu normieren, gehört nicht erst heute zum festen Bestandteil der öffentlichen Debatte.
Die Moraltheorie ist als wirkliche Schranke für das Wann und Wie eines Krieges in die Kriegführung aufgenommen worden.- Michael Walzer
Walzer prägte den Begriff "Humanitäre Intervention" als ein moralisches Muss und nimmt aufgrund der Dringlichkeit zum Handeln rechtsfreie Räume in Kauf, für eine "Politik der Rettung" mit einer neuen Unmittelbarkeit und gegen die Kultur des endlosen Gesprächs der Diskursethik und die Politik der diplomatischen Manöver bei der Konsensfindung (Just and Unjust Wars: A Moral Argument with Historical Illustrations): "Angesichts des menschlichen Elends gewinnt der Internationalismus jedoch eine dringlichere Bedeutung. Es darf nicht mehr gewartet werden: Jeder, der die Initiative zu ergreifen fähig ist, sollte das tun. Aktiver Widerstand gegen Massaker und massive Vertreibungen ist ein moralisches Muss; die daraus resultierenden Risiken muss man nun mal schlucken".
Walzer sieht im Gesprächsprozess, wie die deutsche Religionswissenschaftlerin Christel Hasselmann (lediglich) eine "Entdeckung oder Aufdeckung eines Zustandes, der schon (immer) da war" (Hasselmann 2005:66). Diese Auffassung zeigt eine Tendenz auf, wie auch nach neuen amerikanischen philosophischen Denkschulen bzw. nach dem klassischen Pragmatismus theologische Überlegungen eine humane Intervention moralisch begründen können, nämlich Gott als höchste Moral stiftende Instanz, die einen "gerechten Krieg" und eine "humane Intervention" rechtfertigt und das ethische Handlungsprinzip durch die Erwartungshaltung Macht ausüben zu müssen mit einer "radikalen Verantwortung" verknüpft:
Es ist der Radikalismus von Leuten, die nicht erwarten, jemals Macht auszuüben oder Gewalt einzusetzen, und deshalb nicht darauf vorbereitet sind, die Urteile zu fällen, die ein solcher Einsatz und eine solche Ausübung verlangen. Im Gegensatz dazu ist die Lehre vom gerechten Krieg, selbst wenn sie die schonungslose Kritik einzelner Kriegshandlungen erfordert, die Lehre von Leuten, die erwarten, Macht auszuüben und Gewalt einzusetzen. Wir können sie als eine Lehre der radikalen Verantwortung verstehen.
Die wirksame Initiative in einen Konflikt einzugreifen soll für einzelne mächtiger oder mehrerer williger Länder wichtiger sein als die mehrseitige Autorisierung eines Rates. Bei diesem gezielten Tabubruch Walzers werden Legitimationsdefizite irrelevant:
Säkulare und religiöse Intellektuelle, Gelehrte, Prediger und Publizisten müssten, nicht notwendig organisiert, aber doch durch ein gemeinsames Kredo verbunden, die Kultur der Entschuldigung und Apologie demaskieren, die religiösen und nationalistischen Quellen des Terrors aufdecken, das Beste in der islamischen Zivilisation gegen das Schlechteste mobilisieren und die Trennung von Religion und Politik in allen Zivilisationen verteidigen.
Kommunikative Rationalität sozio-politischen Handelns
Nach der Diskurs-Theorie sollen strittige normative Geltungsansprüche durch verständigungsorientiertes, kommunikatives Handeln in Form von praktischen Diskursen geprüft werden. Demnach zeichnen sich Diskurse dadurch aus, dass die in ihnen vorgetragenen Vorschläge zur Lösung von praktischen Problemen nur durch für alle nachvollziehbare Gründe entschieden werden können.
Neben normativen Geltungsansprüchen nennt Habermas vor allem noch Wahrheits- und Wahrhaftigkeitsansprüche, die sich nicht (wie erstere) auf etwas in der sozialen Welt ("als der Gesamtheit legitim geregelter interpersonaler Beziehungen einer sozialen Gruppe") beziehen, sondern auf etwas in der objektiven Welt "als der Gesamtheit existierender Sachverhalte" bzw. in der eigenen subjektiven Welt "als der Gesamtheit privilegiert zugänglicher Erlebnisse" (Habermas 1983:68). Diese Geltungsansprüche müssen (kontrafaktisch) bei einer Sprechhandlung unterstellt werden, da es sonst nicht möglich wäre, Inhalte sinnvoll zu transportieren. Alle anderen Kommunikationsformen bauen darauf auf: Eine Lüge z. B. kann nur glücken, wenn der Belogene annimmt, der Lügende würde das, was er sagt, für wahr, richtig oder authentisch halten. Eine Darstellung und Erläuterung dieser zentralen sowie aller anderen von Habermas über die Jahre hinweg erwähnten Geltungsansprüche findet sich bei Gottschalk-Mazouz (2000:21-25).
Hier muss der Bundeskanzler, für die Lösung von interkulturellen Normen- und Wertekonflikten, eine zweigleisige Strategie anwenden:
Zum einen muss Friedrich Merz die Fortdauer des Moralgesprächs zur Förderung wechselseitigen Verstehens durch hermeneutische Diskurse (symbolische Interaktion) stützen, indem die Teilnehmer in Washington sich der Geschichtlichkeit und der Pluralität der einfließenden Moralauffassungen bewusst werden, sich wechselseitig die unterschiedlichen Perspektiven vergegenwärtigen und damit das Zusammenleben in der einen Welt verbessern.
Zum anderen muss der deutsche Kanzler in diesen geführten praktischen Diskursen, einen geteilten Richtwert finden, die als eine Vorstellung davon, was als "besser" und was als "schlechter" (sprich: was als moralisch "richtiger" oder "falscher") angesehen werden kann, gegenüber dem gegenwärtigen Zustand des Zusammenlebens.
Insbesondere das zweite Ziel, welches die Gleichheitsgrundsätze der Diskursethik berücksichtigt, ist der "moralische Konsens", wie er von Habermas vorgeschlagen wird und muss daher vom Bundeskanzler langfristig im Diskurs mit der US-Administration (oder auch innerhalb der EU) beibehalten werden.
Denn das Universalisierungsprinzip, als ein zentraler Begriff der Diskursethik, besagt, dass eine moralische Norm nur dann gültig ist, wenn alle von ihr betroffenen Personen die möglichen Folgen und Nebenwirkungen dieser Norm ohne Zwang akzeptieren können. Daher ist eine Handlung nur dann moralisch vertretbar, wenn die zugrundeliegende Maxime von allen Betroffenen als allgemeines Gesetz gewollt werden kann. Das U-Prinzip ist somit ein Kriterium, das sicherstellen soll, dass moralische Entscheidungen nicht nur auf individuellen oder partikularen Interessen basieren, sondern eine allgemeine Gültigkeit anstreben.
Die Überprüfung der Gültigkeit einer Norm erfolgt durch wie oben beschrieben einen offenen und fairen Diskurs, in dem alle Betroffenen gleichberechtigt ihre Perspektiven einbringen können. Für Habermas muss seine Theorie immer im Lichte neuer Argumente revidierbar und offen für weitere Diskussionen bleiben. Als eine angemessene Reflexionsebene für die (z. B. in einem theoretischen oder praktischen Diskurs) angewandte Gesprächsform hat er den Meta-Diskurs bestimmt und den Gedanken der gemeinsamen Reflexion (der Gesprächsform "Diskurs") bereits in seiner Theorie des kommunikativen Handelns mit angelegt und seitdem in der Diskursethik fest verankert.
Als Fragen an die "Anderen" ergäben sich für den Kanzler insgesamt also
die "Was-Frage" die danach fragt, was diese sagten: sie betrifft die Hermeneutik, es soll verstanden werden, was gemeint ist.
die "Warum-Frage", die fragt mit welcher Berechtigung und aus welchen Überzeugungsgründen heraus dies gesagt werde: sie betrifft die immanente Logik, das Feld der Kategorien und Verweise, den Kontext, innerhalb dessen bestimmte Ideen plausibel erscheinen. Erst die Frage nach den Überzeugungsgründen geht in den Kern der Sache, denn erst darin steht zur Frage, ob und wie mein Denken sich aufgrund einer mir zuvor fremden Einsicht ändern soll. (Wimmer 2004:66)
Merz muss davon ausgehen, Trump könnte und wollte mehr, als sich nur logisch-rational äußern; denn der US-Präsident verfolgt mit dem, was er unternimmt, einen Zweck. Deshalb führt der Schweizer Elmar Holenstein (Philosophische Psychologie, Sprach- und Kulturphilosophie) als Regel die " Zweckrationalitäts- oder Funktionalitätsregel" ein: Wenn man logische und teleologische Rationalität, die wörtliche Bedeutung eines Satzes und den mit ihm verfolgten Zweck nicht auseinanderzuhalten vermag, erscheinen viele Äußerungen als irrational. [...] Für Menschen ist nicht nur bedeutsam, was gesagt wird, sondern auch, wie es gesagt wird. (Holenstein:1998b:291-292). Demnach gilt:
Bei der Beurteilung von Aussagen muss (zur Vermeidung der Annahme, diese Aussagen seien irrational) unterschieden werden zwischen einerseits logischer Rationalität (demjenigen, was gesagt wird) und andererseits teleologischer Rationalität (demjenigen, wie es gesagt wird).
Gemeint sind z. B. Aspekte der unterschwelligen Wunsch- und Angstäußerung und der Höflichkeit oder auch die bloße Form des Ausdrucks. Der Sozialphilosoph Heinz Kimmerle hält diese nichtdiskursiven Faktoren im Sinne des Animismus für wichtig und vertritt in seinen Forschungen die These, dass es neben der rationalen Argumentation andere (verbale sowie nonverbale) Ausdrucksformen im interkulturellen Gespräch geben kann, die - komplementär zu ihr - ein Fremdverstehen befördern können: "Das Antlitz des Dialogpartners qualifiziert ihn als solchen. Wenn jemanden der Blick des Anderen trifft, sind darauf unterschiedliche Reaktionen möglich. Die Blicke der Dialogpartner können sich positiv begegnen, indifferent bleiben oder sich ausweichen. Außer dem Blickkontakt gibt es eine Reihe anderer multisensorischer Wechselbezüge. Dazu gehören auch die Gestik und der Tonfall, die den sprachlich geführten Dialog begleiten und im Prozess des gegenseitigen Verstehens eine Rolle spielen". (Kimmerle:2002:81)
Das Universalisierungsprinzip ist auch nicht zu verwechseln mit einem bloßen Konformitätsdruck oder der Unterdrückung von Minderheiteninteressen. Vielmehr soll es sicherstellen, dass moralische Entscheidungen auf einer breiten Basis von Zustimmung und Verständnis getroffen werden. Im Hinblick auf die Schwierigkeit, eine ideale Diskursituation herzustellen und alle Betroffenen gleichberechtigt einzubeziehen, ist es von Merz richtig angegangen worden, nicht nach dem Idealismus als europäischer Moralist vor Trump aufzutreten. Dennoch bleibt es ein wichtiges Konzept, um moralische Entscheidungen zu reflektieren und zu rechtfertigen. Auf einen gemeinsamen Konsens und einer gemeinsamen Wahrheit muss mit Vorsicht hingearbeitet werden.
Für den Kanzler gilt es nun, durch rationale Argumentation (d.h. durch auf Gründen basierenden Entscheidungen) ein konsensuelles Gesprächsergebnis zu erzielen. Damit ist die wesentliche Bedingung für das Vorliegen eines praktischen Diskurses erfüllt (Gottschalk-Mazouz 2000: 16), nämlich dass es sich bei dem Konsens nicht um eine unkritische Übereinkunft - und damit auch nicht um eine okkasionelle Übereinstimmung oder eine "dünne Moral" im Sinne des US-amerikanischen Gesellschaftskritikers Michael Walzers (Erklärte Kriege – Kriegserklärungen, 2003) handeln kann, sondern dass dieser Konsens rational motiviert sein muss. Ziel ist es, sich "über Gemeinsamkeiten kommunikativ zu verständigen". Die auf diese Weise ermittelten Gemeinsamkeiten beschreibt Küng als die gesuchten “integrierende[n] humane[n] Überzeugungen“ (1990:44). Über den Prozess des Diskurses, als Methode der Verständigung, ist über Kriterien und Werte ein Handlungsprinzip zu finden, d. h. ein ethisches Prinzip, das zur Entscheidungsfindung in moralischen Konfliktsituationen herangezogen werden kann.
Konsensfähigkeit statt einstimmiger Zustimmung
In der Beziehung zur amtierenden US-Regierung geht es vielmehr um die Konsensfähigkeit statt um die Findung eines Konsenses. Das scheinen die Berater im Team Friedrich Merz durchaus berücksichtigt zu haben.
Konsensfähigkeit als Kriterium für die Wahrheit einer Behauptung bedeutet allerdings nicht, dass die Wahrheit dieser Behauptung davon abhängt, ob in Bezug auf die Behauptung tatsächlich ein Konsens (einstimmige Zustimmung) besteht. Über die Wahrheit einer Behauptung kann man nicht abstimmen, und theoretisch kann ein Einzelner gegen alle anderen recht haben. Man kann allerdings in dem Maße Wahrheit und Allgemeingültigkeit für eine Behauptung beanspruchen, wie man über allgemein nachvollziehbare, also verständliche und akzeptable Argumente zur Begründung dieser Behauptung verfügt.
„Wenn wir unter ‚Konsensus‘ jede zufällig zustande gekommene Übereinstimmung verstehen würden, könnte er offensichtlich als Wahrheitskriterium […] nicht dienen. Deshalb ist ‚diskursive Einlösung‘ ein normativer Begriff: die Übereinstimmung, zu der wir in Diskursen gelangen können, ist allein ein begründeter Konsensus.“ – Jürgen Habermas: Wahrheitstheorien, 1973, S. 239.
Zurück zum Relativismus. In der Philosophie meint seine Position, dass die Wahrheit jeder Behauptung variabel ist, abhängig von den Umständen und Personen. Im Gegensatz zum Absoluten ist das Relative das, was von einer anderen Sache als von sich selbst abhängt, um zu sein (oder gedacht zu werden) oder das, was eine Beziehung zwischen mindestens zwei Größen betrifft. Das Relative impliziert also generell das Unvollkommene und den Vergleich.
Auch Relationismus genannt, entsprechend von lateinisch relatio, „Verhältnis“, „Beziehung“, ist demnach eine philosophische Denkrichtung in der Politik, welche die Wahrheit von Aussagen, Forderungen und Prinzipien als stets von etwas anderem bedingt ansieht und absolute Wahrheiten verneint –, dass also jede Aussage auf Bedingungen aufbaut, deren Wahrheit jedoch wiederum auf Bedingungen fußt und so fort. Diese Rahmenbedingungen des politischen Relativismus ermöglichen es, die Aussage auch zu verändern und zu verhandeln (Framing, Reframing, Anchoring in Negotiation). Polit-Relativisten wie Donald Trump, begründen dies oft mit dem erkenntnistheoretischem (epistemologischen) Argument, dass eine sichere Erkenntnis der Welt unmöglich ist.
Habermas hat sich bei seiner Theorie des kommunikativen Handelns und der Diskursethik mit den Anerkennungsbegriffen Fremdsein, Toleranz, Respekt und Anerkennung tiefer auseinandergesetzt und diese differenziert um seine Argumentations-These zu stützen. Für die interkulturellen Philosophie ist wechselseitiges Verstehen nur eine notwendige Bedingung für das Erreichen ihres zweiten, weiterreichenden Ziels, nämlich in philosophischen Fragen gemeinsame, neue Antworten zu entwickeln.
Die Haberman'sche Diskurstheorie müsse zwar nicht behaupten, "dass sämtliche Überzeugungsänderungen per Argumentation erfolgen oder auch nur erfolgen können", da sich vielfach "Alternativen nur vorführen […ließen], häufig nicht einmal mit sprachlichen Mitteln". Aber auch "die richtige Beobachtung […,] dass es ein unvermeidlich metaphorisches Element sprachlicher Ausdrücke gebe und dass dieses Element wichtig für die Fortentwicklung sprachlicher Ausdruckmöglichkeiten wäre" (vgl. hierzu Seel, 1990), stelle die Exklusivität der Argumentationspraxis aus dem Blick der Diskurstheorie nicht in Frage. Denn diese Praxis allein sei "dasjenige Medium, in dem wir uns der Rationalität unserer Einstellungsänderungen versichern können, soweit wir uns dieser eben versichern können. Etwas besseres als unsere besten Gründe steht uns dafür nicht zur Verfügung" (Gottschalk-Mazouz 2000:21).
Reversibilität: Thomas-Theorem der sozialen Wirklichkeit
Der neue Bundeskanzler wurde bei seinem offiziellen Antrittsbesuch von Donald Trump in Washington warm empfangen. Friedrich Merz durfte im Gästehaus direkt neben dem Weißen Haus übernachten, dies symbolische Geste ist entsprechend ihrer Wirkung gegenüber Deutschland und nach außen richtig zu deuten. Der Kanzler wird von dem US-Präsidenten nicht bloß toleriert, die Geste von Trump geht über den gegenseitigen Respekt hinaus und zeigt Achtung vor Merz und dass er diesen als ebenwürdigen Gesprächspartner anerkennt.
"Beziehungen haben Bedeutung"
Nach der Kommunikationstheorie Habermas, ist das erste Zusammentreffen der beiden Staatsmänner in Bezug auf einen Dialog zwischen diesen auf die höchste Ebene (Toleranz, Respekt, Anerkennung) gestellt worden. Nach der Theorie der Symbolischen Interaktion nach Mead bzw. seines Schülers Herbert Blumer ist der Wert der Symbolik klar erkennbar: "Beziehungen haben Bedeutung" (vgl. Blumer 1973). Nicht alle Gäste sind Freunde, nicht alle werden 200 Meter weiter im Blair House – dem Gästehaus des US-Präsidenten untergebracht und allgemein gelten Treffen mit Donald Trump im Oval Office als unberechenbar.
Eine Einladung ins Gästehaus erflogt mit besonderer Ehre, die den meisten Staatsbesuchers verwehrt bleibt. Sein Vorgänger Olaf Scholz wurde von Joe Biden wie die meisten Amtsträger, die in Washington zu Besuch sind, im Hotel untergebracht. Trump bezeichnete Kanzler Merz als Freund und nannte dies als gute Grundlage für den Ausbau der bilateralen Beziehungen zu Deutschland. Donald Trump hat in der Vergangenheit gezeigt, dass er nicht davor zurückschreckt, Staatsgäste öffentlich zu demütigen, wie der Rausschmiss des ukrainischen Präsidenten Selenskyj und die Vorführung des südafrikanischen Staatschefs Ramaphosa zeigen. Ein freundschaftliches Verhältnis auf Augenhöhe pflegt Donald Trump auch zu Israels Premierminister Benjamin Netanjahu der zuletzt im Blair House zu Gast war.
Vor diesem Hintergrund lässt sich der für die Gestaltung der sozialen Beziehung zwischen Merz und Trump wichtige Grundsatz der Reversibilität gut verdeutlichen: Wenn ich von dir erwarte, dass du fair mit mir umgehst, kannst du das auch von mir erwarten. Im sozialen Umgang entsteht durch wechselseitige Verhaltensangebote soziale Wirklichkeit (role-taking und role-making). Beziehungen zwischen Ego und Alter werden dann und in dem Maße zu sozialen Beziehungen, wenn Ego und Alter bereit sind, wechselseitig die Erwartungen (Perspektiven) der anderen zu übernehmen und anzubieten.
"Wenn Menschen Situationen als real definieren, sind sie in ihren Konsequenzen real." - Thomas-Theorem, W.I. Thomas and Dorothy Swaine Thomas, 1928
Das Thomas-Theorem kann als ein Grundsatz der Soziologie angesehen werden und ist auf viele Vorgänge und Regeln übertragbar, die unseren Alltag gestalten und regulieren. Auch im Bereich der Ökonomie funktioniert soziale Wirklichkeit auf diese Weise: Wenn über eine Bank, die in sich gut aufgestellt ist, das Gerücht verbreitet wird, sie drohe, zahlungsunfähig zu werden, holen die Kunden ihre Guthaben von ihren Konten und die Bank wird tatsächlich zahlungsunfähig (selbsterfüllende Prophezeiung, self-fulfilling prophecy). Wenn ein mächtiger Staatsmann wie der US-Präsident eine Situation als real definiert, sind sie in ihren Konsequenzen real. Wenn Donald Trump über Protektionismus und Handelszölle an der Schwächung des US-Dollars arbeitet, ist das nicht als verrückt oder sogar dumm zu bewerten, sondern als einen realen geostrategischen Schachzug (Mar-a-Lago Accord).
Für das Kanzleramt ist es deshalb ratsam, sich für den Grundsatz der Soziologie zu sensibilisieren und zu analysieren was Akteure wie Donald Trump oder Wladimir Putin jeweils aus ihrer subjektiven Sicht als soziale Wirklichkeit ansehen und was nicht. Denn innerhalb dieses Konzeptes gibt es dann keine Möglichkeit mehr, zwischen Lüge und Wahrheit, Propaganda und Information, Richtig und Falsch zu unterscheiden. Alles, was von den Akteuren für wahr gehalten wird, wird im Rahmen dieses Konzeptes als "wahre" Aussage angesehen. Es ist deshalb von vorrangigem Interesse für Friedrich Merz als sozialer Betrachter zu untersuchen, wie es gelingt, soziale Wirklichkeit zu inszenieren und zu konstruieren. Es geht dabei zu analysieren, dass und wie sich die Definition der Situation z.B. des Mächtigeren (Ohnmächtigeren?) durchsetzt, ohne jeweils auf ihren Realitätsgehalt hin überprüft worden zu sein. Eine Basis für eine Kritik der sozialen Situation, welche Krisenlösungen z. B. akzeptabel bzw. inakzeptabel (inhuman) sind, ergibt sich innerhalb dieses Konzeptes nicht. (Berger/Luckmann: "Die gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit", 1966)
Die beiden Soziologen Peter Berger und Thomas Luckmann argumentieren, dass die Realität, wie wir sie erleben, nicht einfach eine objektive Tatsache ist, sondern durch soziale Prozesse und Interaktionen konstruiert wird. Sie betonen, dass die Gesellschaft durch menschliches Handeln und die wiederholte Anwendung von Routinen (Habitualisierung) geschaffen wird. Somit ist eine weitere zentrale Einsicht, die der Symbolische Interaktionismus über die soziale Wirklichkeit vermittelt, die von der Gestaltbarkeit sozialer Beziehungen bzw. von der Plastizität der sozialen Realität: Rollen, Normen, Verhaltensweisen, Interaktionen sind gestaltbar und verändern sich.
Dieser Aspekt ist besonders wichtig für das Verständnis von abweichendem Verhalten, wie dies entsteht und wie man damit umgehen kann. (Sozialisation bzw. "Produktion" von guten und schlechten Staatsführern kann als Ergebnis sozialer Beziehungen bzw. "Etikettierungen" angesehen werden und verdeutlicht den plastischen Charakter von sozialer Wirklichkeit und den Gegensatz zum Behaviorismus. Donald Trump hat beispielsweise den ukrainischen Leader Wolodymyr Selenskyj nach dem Treffen im Weißen Haus als Diktator bezeichnet, der den Krieg in seinem Land begonnen hat und nicht beenden will.
Übergreifender Konsens: Überlappungen als Kompromissbereitschaft
Im Gegensatz zum Weltethos gestaltet sich ein politischer Konsens weit pragmatischer und in einem Dialog mit den USA aufgrund ihrer Amerikanischen Philosophie ohnehin realer. So läuft es zwangsläufig auf einen "überlappenden Konsens" hinaus (Rawls, „A Theory of Justice“, 1971). Das Konzept des amerikanischen Moral-, Rechts-, und liberalen Politphilosophen John Rawls, beschreibt, wie eine pluralistische Gesellschaft trotz unterschiedlicher umfassender Lehren (z. B. religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen) auf bestimmte "Prinzipien der politischen Gerechtigkeit" einigen kann. Es handelt sich um einen Konsens, bei dem verschiedene Gruppen zwar unterschiedliche Gründe für ihre Zustimmung haben, aber dennoch zu denselben Prinzipien der politischen Gerechtigkeit gelangen, die dann die Grundlage für die grundlegenden sozialen Institutionen bilden.
Nur Überlappungen lassen Auslegungen zu. Sie sind in das Leben eingebettet und hängen von Begründungs-zusammenhängen, Methoden, Erkenntnissen, Werten, Interessen und Interpretationen ab. Jenseits aller Ontologisierung stellen Überlappungen die auf dem Boden des Empirischen zu erreichenden und zu begründenden Gemeinsamkeiten dar. - Ram Adhar Mall, 1997:72
Der deutsch-indische interkulturelle Philosoph Mall plädiert wie Rawls für eine Überlappung (overlapping consensus) und daher für eine analogische Hermeneutik, die sowohl nach inhaltlichen als auch nach strukturellen Analogien sucht, welche Toleranz und Anerkennung ermöglichten, mit Blick auf interkulturelle Normen- und Wertekonflikte.
Da Philosophie qua Philosophie eigentlich anthropologisch verankert ist, ergeben sich Überlappungen unter den wissenschaftlichen Arbeiten trotz der kulturbedingten Besonderheiten der Menschen. Im Bereich der Kommunikation, ob rein theoretisch oder praktisch, geht Ram Adhar Mall von der Überzeugung aus, dass es ein "Primat der Kommunikation" vor dem Konsens gibt, auch wenn die regulative Idee des Konsenses ihre volle Berechtigung besitzt. Das Primat der Kommunikation befähigt uns, den Dissens ernst zu nehmen und ihn nicht bloß reduktiv zu behandeln.
Eine solche Sichtweise der Problematik erzeugt Kompromissbereitschaft, was wiederum Kommunikation ermöglicht. Es geht um eine Verzichtleistung auf den Absolutheitsanspruch, denn die Absolutheit der Wahrheit (wenn es sie geben sollte) darf nicht verwechselt werden mit der Absolutheit des menschlichen Anspruchs auf sie.
Philosophie qua Philosophie ist eigentlich anthropologisch verankert.
Jedoch ist Rawls' diesbezügliche Vorstellung sehr verschieden von den Überlappungen, von denen Mall spricht. Zwar scheint auf den ersten Blick Rawls' Ausgangsbasis des "vernünftigen Pluralismus'" den Annahmen der interkulturellen Philosophie zu ähneln. Er schreibt, dass es viele einander entgegengesetzte vernünftige umfassende Lehren mit zu ihnen gehörenden Konzeptionen des Guten gebe, von denen jede mit der uneingeschränkten Rationalität menschlicher Personen zu vereinbaren sei (Rawls 1998:221).
Daraus zieht er die Konsequenz, dass nach einem Konsens vernünftiger (und nicht: unvernünftiger oder irrationaler) Lehren zu suchen sei. Diese angenommene Ähnlichkeit erweist sich allerdings als trügerisch: Der "overlapping consensus" soll nämlich ein moralisches Grundgerüst darstellen, das unabhängig ist von den partikularen moralischen, religiösen und philosophischen Positionen innerhalb einer freiheitlichen Gruppenordnung.
Denn bei denjenigen Überlappungen, die zuallererst einmal ein interkulturelles Verstehen ermöglichen sollen, kann es sich nicht schon um eine Verständigung im Sinne einer Einigung, sprich: eines rational ausgehandelten Konsenses handeln. Dies wird besonders dann deutlich, wenn Mall schreibt: "Die analogische Hermeneutik vertritt ferner die Ansicht, dass man auch das verstehen kann, was man nicht ist, sein kann oder sein will. Das Verstehen im Geiste der analogischen Hermeneutik pocht nicht auf ein Verstehen im Sinne des Einleuchtens und Überzeugens, sondern vollzieht ein Verstehen auch im Sinne des Sich-zurücknehmen Könnens. (Mall 1997:72-73)
Näher als der Gedanke des "overlapping consensus" von Rawls scheint den von Mall erwähnten Analogien im Bereich der Moraltheorie daher das zu stehen, was Michael Walzer als "moralischen Minimalismus" bezeichnet. Diesen Minimalismus versteht Walzer als eine Erfahrung der Universalität, genauer als eine Reihe von kulturell-politisch grenzüberschreitenden Augenblicken moralischer Wertungen, Urteilen oder Handlungen (1996a:38).
Diesem Gerüst sollen daher die unterschiedlichen Lehren von ihrem jeweils eigenen Standpunkt aus zustimmen können. Rawls' politische Konzeption der Gerechtigkeit will mit dem overlapping consensus eine moralische Begründung im Sinne einer Selbstverpflichtung ermöglichen. Wilfried Hinsch beschreibt dieses Ansinnen so, dass "ein übergreifender Konsens [...] durch eine umsichtig angelegte und rational begründete Gerechtigkeitskonzeption, wenn nicht sichergestellt, so doch wenigstens wahrscheinlich gemacht werden kann" (1992:28). Dadurch will Rawls den Gefahren begegnen, die sich durch das Gegenmodell eines "modus vivendi" (way of life) in Internationalen Beziehungen (eine Vereinbarung oder ein Abkommen, das es den Konfliktparteien ermöglicht, friedlich zusammenzuleben) ergeben würden, einer kompromisshaften Einigung, die so ausgehandelt (und immer wieder neu verhandelt) werden müsse, "dass die beteiligten Parteien ungefähr in Proportion zu ihrer Stärke berücksichtigt sind" (vgl. Thomas W. Pogge An Egalitarian Law of Peoples, 1994:45).
Sie enthält dabei klar kulturell geprägte Werturteile, vor allem den der Freiheit im Sinne von "andauernd freien Institutionen", unter der allein sich unterschiedliche vernünftige Morallehren überhaupt erst entwickeln könnten (vgl. z.B. Rawls 1998:221 und 232). Dies stellt insgesamt eine für die interkulturelle Philosophie inakzeptable Beschränkung der an der Konsensfindung beteiligten Positionen dar; denn es begrenzt die relevanten Sichtweisen auf jene, die innerhalb dieser Ordnung existieren.
+& DEJAN KOSMATIN
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